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Alle Theorien von Schwingungen und Bewegungen der Fasern im Gehirne führen höchstens auf Wahrscheinlichkeit, die Veränderungen im Sichtbaren der Organe zu bestimmen, von welchen gewisse Veränderungen des denkenden Wesens begleitet werden. Sie werden aber nie die objectiven Veränderungen des Sichtbaren in subjective Veränderungen des Sehenden verwandeln.

Wahrheit, Schein.

(Nov. 1781.)

Heraklit behauptete, daß wir alle nur so lange, als wir wachen, eine einzige gemeinschaftliche Welt hätten, und daß ein Jeder im Schlaf und Traum gleichsam in seiner eignen Welt verkehre (Plut. VI. 634. Reiske); ferner, daß nur das wahr sei, was mit der allgemeinen Vernunft, und worin alle Menschen übereinstimmten, und das falsch, was nur dem Verstande einzelner Menschen wahr scheine.

Dieß kömmt mit meinen Begriffen so ziemlich überein. Jede Erkenntniß, insoweit sie in der positiven Kraft der Seele gegründet ist, heißt Wahrheit. Das Gegentheil davon ist unwahr. Eine Unwahrheit, die wir für wahr halten, ist ́ein Irrthum; wenn der Grund dieses Dafürhaltens in der Beschaffenheit der Sinne zu finden ist, ein Schein.

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Wahrheit hat einen objectiven Grund, Schein einen bloß subjectiven. Die Wahrheit würde jedes denkende Wesen eben so finden, wenn es nicht durch seine Einschränkung verhindert wird. Der Schein wird einer anders modificirten Sinneskraft anders vorkommen. Sinnliche Erkenntniß hat subjective den höchsten Grad der Gewißheit und Evidenz.

Objective beruht ihre Gewißheit bloß auf Harmonie. Wenn alle Menschen mit verschiedenen Sinnen, zu verschiedenen Zeiten, durch verschiedene Mittel u. s. w. eben dasselbe wahrnehmen; so ist der Grund zuvörderst nicht bloß individuell, nicht bloß local oder temporal, sondern wenigstens in dem gegründet, was die Menschen unter allen diesen gemeinschaftlichen Umstånden gemein haben; also entweder in der positiven Denk- und Vorstellungskraft

(also Wahrheit), oder wenigstens in der allgemeinen Einschrånkung der menschlichen Seele.

Daher die Wunder, so gern sie glegaubt werden, doch von Seiten ihrer objectiven Wahrheit so vielen Schwierigkeiten ausgeseht seyn müssen. Die objective Gewißheit sinnlicher Gegens stände und Thatsachen beruht auf Harmonie; und der Wundererzähler seht voraus, daß seine Geschichte nicht durch Harmonie bestätigt werden könne.

Was Heraklit eines Jeden eigene Welt nennt, ist die bloß subjective oder gar individuelle Ideenverbindung, die im Traume. prådominirt. Heraklit (Meiners Geschichte der Wissenschaften S. 627.) war der Meinung, daß die feurigen Dünste, die aus der Erde heraufsteigen, sich in gewissen ausgehöhlten Gefäßen oder Trichtern sammelten, und daß aus diesen Klumpen feuriger Dünfte die Sterne entstånden. Sonnen- und Mondfinsternisse erklärte er aus den Umdrehungen der Gefäße, in welchen ihr Licht eingeschlossen sei, oder aus den Abwendungen der offenen Seiten der Sonnen- und Mond-Trichter. Ich muß hier einer Mißdeutung der Meinung des Heraklit begegnen. Er soll sich poetisch und bilderreich ausgedrückt haben. Vielleicht hat er den Schattenkegel des Mondes, den er der Erde während der Finsterniß zukehrt, in seiner bildlichen Sprache einen Trichter genannt. Es kömmt also darauf an, ob man authentische Zeugnisse hat, daß er auch der Sonne einen solchen Trichter zugeschrieben. Nach Brucker hat schon Jacob Thomasius (in Diss. de loco animae post mortem et scaph. lunae c. V. §. 10. T. I. hist. sap. et stult. 3.) dafür gehalten, daß dieß ein allegorischer Ausdruck des Heraklit gewesen, quod tamen vix videtur verosimile.

Von vollkommenen und unvollkommenen Rechten und

Pflichten.

(November 1781.)

Die Erlaubniß (das sittliche Vermögen), sich eines Dinges als Mittels zu seiner Glückseligkeit zu bedienen, heißt ein Recht.

Die Schuldigkeit (sittliche Nothwendigkeit), etwas zu thun oder zu unterlassen, heißt Pflicht.

Jeder Pflicht entspricht ein Recht.

Beide, sowohl Pflicht als Recht, lassen sich durch allge= meine Säße ausdrücken, unter welchen die vorkommenden Fälle subsumirt werden müssen.

Die Bedingung des Subjects, unter welcher das Recht oder die ihm entsprechende Pflicht prådicirt werden kann, hångt zuweilen bloß von dem Rechthaber, zuweilen aber mit von dem Wissen und Gutfinden des Pflichttrågers ab. In dem ersten Falle wird das Recht ein vollkommenes Recht, und die ihm entsprechende Pflicht eine vollkommene Pflicht genannt. Im zweiten Falle aber sind beide unvollkommen zu nennen. 3. B. jeder Arme hat ein vollkommenes Recht zu betteln. Denn die Bedingung des Subjects, unter welcher dieses erlaubt oder gar nothwendig ist, hängt von dem Wissen und Gewissen des Rechthabers allein ab. Er kann aber Niemand zwingen, ihm Almosen zu geben. Denn die Pflicht, Andern mitzutheilen, fest in der Anwendung Bedingungen voraus, die zum Theil auf Umständen, welche dem Pflichtträger allein bekannt sind, zum Theil aber auch, der Natur der Sache gemäß, auf seiner Will= kühr beruhen müssen.

Da der Mensch verbunden ist, nicht das bloß Gute, son= dern allezeit das Beste zu thun, die Kenntniß dessen aber, so in jedem Zeitpunkte für jede handelnde Person das Beste ist, von Umständen abhängt, die der handelnden Perfon allein bekannt und bestimmbar seyn können; so giebt es von Natur keine pofitiven 3wangspflichten, keine vollkommene Pflicht, etwas zu thun; und alle Zwangspflichten sind bloß negative Pflichten, Pflichten zu unterlassen. Neminem laede! Die positiven Pflichten und Rechte im Stande der Natur sind bloß unvollkommen.

Durch pacta können wir das Recht, die näheren Bestim mungen hinzuzuthun, auf den Rechthaber übertragen, und das durch unvollkommene Rechte und Pflichten in vollkom= mene verwandeln. Denn nunmehr ist dieses Recht das Eigen= thum eines Andern geworden, das ich ihm nicht wieder entziehen kann, ohne eine Unterlassungspflicht (neminem laede) zu übertreten; die Unterlassungspflichten aber sind auch im Stande der Natur vollkommen. Das einzige Geses: pactum est servandum

ist im Stande der Natur vollkommen verbindlich, weil es im Grunde nur ein anderer Ausdruck ist für den negativen Sat: ne agas contra jus alius, oder neminem laede.

Ich bin verbunden, meine Kräfte zum Nußen und Vergnügen der Menschen anzuwenden. Wie aber und wozu ich diese Kräfte anwenden will, auch welchen bestimmten Menschen fie zum Nußen und Vergnügen dienen sollen; diese näheren Bestimmungen hangen im Stande der Natur bloß von mir selbst, zum Theil von der mir allein möglichen Kenntniß ge= wisser Umstände, zum Theil auch von meiner Willkühr, von meinem Gutfinden ab. Habe ich mich aber gegen Jemanden durch ein pactum verbindlich gemacht, d. h. habe ich ihm einmal das Recht abgetreten, diese näheren Umstände, das Wem, Wie und Wenn nach seiner Willkühr zu bestimmen; so hört meine Concurrenz zur Festsehung der Bedingung des Sages auf, und die Pflicht wird vollkommen.

Der Stand der Natur ist derjenige Zustand des Menschen, `in welchem alle seine positiven Pflichten gegen Andere bloß unvollkommene Pflichten sind.

Durch die bürgerlichen Geseze wird ein großer Theil der unvollkommenen, positiven Pflichten in vollkommene, Liebespflich= ten in Zwangspflichten verwandelt.

Wenn auch die Gesete keine Strafen und Belohnungen mit den Handlungen verbinden, so sind sie dennoch zur menschlichen Glückseligkeit unentbehrlich, weil diese mit dem Mangel aller positiven Zwangspflichten nicht bestehen kann.

Es ist aber nicht gut, alle Liebespflichten in Zwangspflich= ten zu verwandeln, damit die Menschen im gesellschaftlichen Leben Gelegenheit finden mögen, sich im Wohlthun und Erzeigung der Liebesdienste zu üben. Wo der Staat mir durch ein Geseh Al= mosen abfordert und vertheilt, da finde ich keine Gelegenheit, meine Theilnehmung und mein Erbarmen werkthätig zu üben; und wenn sogar die Werke der Großmuth, der Erkenntlichkeit, der Freundschaft u. s. w. durch Geseke bestimmt seyn sollen, da verlieren alle diese Tugenden ihren Werth.

Jede positive Zwangspflicht seht ein abgetretenes Recht voraus. Ein Recht, das soll abgetreten werden können, muß beweglich seyn; daher Niemand vollkommen verpflichtet seyn kann, z. B. für das Vaterland zu sterben; denn kein

pactum kann diese unvollkommene Verbindlichkeit in eine vollkommene verwandeln.

Modas conjunctivas.

Zuweilen macht ein ganzer Nebensah einen Theil des Hauptsages aus, und ist entweder ein Hauptheil oder ein Nebentheil desselben. In beiden Fällen kann es nöthig seyn, in dem Nebensahe die Person zu bestimmen, oder nicht.

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Der Infinitiv ist declinabel und zeigt durch seinen Casum das Verhältniß an, in welchem er mit dem übrigen Theile des Haupsakes steht; z. B. der Nebensaß ist Subject: die Jugend an Arbeit nnd Unterwürfigkeit gewöhnen, ist eine Bemühung, deren u. f. w.; Prädicat: die Tugendhaften lieben ist selbst tugendhaft seyn; das Object in Fällen, wo die Handlung des Nebensaßes der Gegenstand des Haupt-Prådicats seyn kann; als will, kann, mag, darf, muß — D¬¬¬27 -; der Infinitiv des Nebensages steht hier im Accusativ. Siehe Meiners philosophische Sprachlehre, der diese Regel nicht eingesehen. Dativ und Ablativ: von rechtschaffen denken bis zum rechtschaffen handeln; begierig alles zu wissen, Ruhm zu erlangen. Ge= nitiv: des langen Nachforschens müde; des Bücherschreibens ist kein Ende.

Die andern Modi zeigen ihre Abhängigkeit von dem Theile des Hauptsages durch die Conjunction ut, quod, daß etc. an; und einige Sprachen geben zu mehrerer Deutlichkeit auch dem Verbo eine andere Gestalt, welche daher modus conjunctivus genannt wird. Der modus conjunctivus ist also nichts anders, als die Form, die das Zeitwort annimmt, wenn der Sah, in welchem es Prädicat ist, einen Nebentheil des Hauptsages ausmachen und dabei die Person andeuten soll.

Der Infinitiv kann nur in dem Nebensage, niemals aber im Hauptsaße vorkommen. Im Hauptsake muß das Subject bestimmt seyn.

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