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Adam aber fuhr fort in seinen Klagen und sprach: ,,Was bleibt mir nun in meinem Jammer auf der blutbefleckten Erde?“ —

Der Cherub antwortete und sprach: „Der Blick gen Himmel!"—Darauf verschwand 3 er.

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Adam aber stand bis nach Sonnenuntergang. Und als die Sterne aufgegangen waren, da breitete er seine Arme empor gegen Orion und den Wagen, und riefs:,, ihr glänzenden Wächter an den Thoren des Himmels, warum wandelt ihr so schweigend? Darf ein Sterblicher den Laut eurer Stimme vernehmen, o, so redet von dem Lande, das jenseits ist und von Abel dem Geliebten!".

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Da ward es noch stiller ringsumher, und Adam warf sich auf sein Antlitz und betete an. Und er vernahm in seinem Herzen ein leises Wort:,,Siehe, Abel dein Sohn lebet!"

Da ging 10 er getröstet von dannen, und seine Seele war still und voll Wehmuth. A. Krummacher.

Paramythien.

Die Rose.

,,Alle Blumen rings" um" mich her" sehe ich welken und sterben; und doch nennet man nur immer Mich die verwelkliche, die leicht vergångliche Rose. Undankbare Menschen! mache ich euch mein kurzes Dasein nicht angenehm genug? Ja, auch 12 selbst 12 nach meinem Tode bereite ich euch ein Grabmal füßer Gerüche; Arzneien und

'fortfahren; blood-stained; verschwinden; aufgehen; 5rufen ; 6 dürfen; 7 werfen; 8 anbeten; 9 vernehmen ; Il all around me;

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gehen ;

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Salben voll Erquickung und Stärkung. Und doch hdre ich euch immer singen und sagen: ach, die verwelkliche, die leicht zerfallende Rose!“

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So klagte die Königin der Blumen auf ihrem Thron, vielleicht schon in der ersten Empfindung ihrer auch hinsinkenden Schönheit. Das vor ihr stehende Mädchen hörte sie und sprach: „Erzůrne dich nicht über uns, süße Kleine! nenne nicht Undankbarkeit, was höhere Liebe ist, der Wunsch einer zärtlichen Neigung. Alle Blumen um uns sehen wir sterben, und halten's für Schicksal der Blumen; aber dich, ihre Königin, dich allein wünschen und halten wir der Unsterblichkeit werth. Wenn wir uns also in unserm Wunsche getäuscht sehen, so laß3 uns die Klage, mit der wir uns selbst in dir bedauern. Alle Schönheit, Jugend und Freude unsres Lebens vergleichen wir dir; und da sie wie du verblühen, so singen und sagen wir immer: ach, die verwelkliche, leicht zerfallende Rose!“

Die Lilie und die Nose.

Sagt mir, ihr holden Töchter der rauhen, schwarzen Erde, wer gab euch eure schöne Gestalt? denn wahrlich von niedlichen Fingern seid ihr gebildet. Welche kleine Geister stiegen aus euren Kelchen empor?1 und welch Vergnügen fühltet ihr, da sich Göttinnen auf euren Blåttern wiegten? Sagt mir, friedliche Blumen, wie theilten sie sich in ihr erfreuend Geschäft, und winkten einander zu, wenn sie ihr feines Gewebe so vielfach spannen, so vielfach zierten und stickten?

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1 sinking, fading; the maiden, standing before her; leave, permit, 'emporsteigen, to ascend, rise up; how did they divide amongst themselves their; zuwinken, to beckon to.

Aber ihr schweigt, holdselige Kinder, und genießet eures Daseins. Wohlan! mir soll die lehrende Fabel erzählen, was euer Mund mir verschweiget.

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Als einst, ein nackter Fels, die Erde dastand': siehe, da trug eine freundliche Schaar von Nymphen den jungfräuLichen Boden hinan,2 und gefållige Genien waren bereit, den nackten Felsen zu beblåmen. Vielfach theilten sie sich in ihr Geschäft. Schon unter dem Schnee und im kalten kleinen Grase fing die bescheidene Demuth an, und webte das sich verbergende Veilchen. Die Hoffnung trats hinter ihr her,5 und füllte mit kühlenden Düften die kleinen Kelche der erquickenden Hyacinthe. Jeht kam, da eso jenen so wohl gelang, ein stolzer, prangender Chor vielfarbiger Schönen. Die Tulpe erhob ihr Haupt: die Nar ciffe blickte umher mit ihrem schmachtenden Auge.

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Viele andere Göttinnen und Nymphen beschäftigten sich auf mancherlei Art, und schmückten die Erde, frohlockend über ihr schönes Gebilde.

Und siehe, als ein großer Theil von ihren Werken mit seinem Ruhm und ihrer Freude daran verblühet war, sprach Venus zu ihren Grazien also:,,Was säumt ihr, Schwestern der Anmuth? Auf!7 und webet von euren Reizen auch eine sterbliche, sichtbare Blüthe." Sie gingen zur Erde hinab, und Aglaja, die Grazie der Unschuld, bildete die Lilie: Thalia und Euphrosyne webten mit schwe= sterlicher Hand die Blume der Freude und Liebe, die jungfräuliche Rose.

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Manche Blumen des Feldes und Gartens neideten einander; die Lilie und Rose neideten keine, und wurden von allen beneidet. Schwesterlich blühn sie zusammen auf

'dastehen; 2 hinantragen, to bear on; even; 4 anfangen; hertreten, to step along; es gelingt mir, I succeed; 7up, rise! shinabgehen zur, to go down to.

Einem Gefilde der Hora, und zieren einander: denn schwesterliche Grazien haben ungetrennt sie gewebet.

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Auch auf euren Wangen, o Mädchen, blühn Lilien und Rosen; mögen auch ihre Huldinnen, die Unschuld, Freude und Liebe, vereint und unzertrennlich auf ihnen wohnen. I. G. v. Herder.

Märchen.

Der blonde Ecbert.

In einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man gewöhnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohn= gefähr vierzig Jahre alt, kaum von mittler Größe, und kurze hellblonde Haare lggen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig für sich und war niemals in die Fehden seiner Nachbarn verwickelt; auch sah man ihn nur selten außerhalb der Ringmauern seines kleinen Schlosses. Sein Weib liebte die Einsamkeit eben so sehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben; nur klagten sie oft darüber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kindern segnen wolle.

Nur selten wurde Eckbert von Gästen besucht, und wenn es auch geschah, so wurde ihrentwegen fast nichts in dem gewöhnlichen Gange des Lebens geändert, die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Ecbert war alsdann heiter und aufgeräumt,3 nur wenn er allein war, bemerkte man an ihm eine gewisse Verschloffenheit,*, eine stille zurückhaltende Melancholie.

Niemand kam so håufig auf die Burg als Philipp Walther, ein Mann, an welchen sich Eckbert angeschlossen hatte,° the Hours; 2 the Graces; 3in good spirits, lively; reservedness; 5 retiring; to whom he had attached himself.

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weil er an ihm ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am meisten zugethan' war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft über ein halbes Jahr in der Nähe von Eckberts Burg auf, sammelte Kräuter und Steine und beschäftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen; 2 er lebte von einem kleinen Vermögen und war von Niemand abhängig. Ecbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spaziergången, und mit jedem Jahre entspann3 sich zwischen ihnen eine innigere Freundschaft.

Es giebt Stunden, in denen es den Menschen ångstigt,a wenn er vor seinem Freunde ein Geheimniß haben soll, was er bis dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat; die Seele fühlt dann einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzutheilen, dem Freunde auch das Innerste aufzuschließen, damit er um so mehr unser Freund werde. In diesen Augenblicken geben sich die zarten Seelen einander zu erkennen, und zuweilen geschieht es wohl auch, daß Einer vor der Bekanntschaft des Andern zurück schrickt.

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Es war schon im Herbst, als Ecbert an einem neblichten Abend mit seinem Freunde und seinem Weibe Bertha um das Feuer des Kamins saß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke; die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume draußen schüttelten sich vor nasser Kålte. Walther klagte über den weiten Rückweg, den er habe, und Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Gesprächen hinzubringen, und dann in einem Gemache des Hauses bis am Morgen zu schlafen. Walther

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1 to which he too was given the greater part; 2he occupied himself with arranging them; entspinnen, to grow, arise; to distress; 5 his innermost heart; make themselves known to one another; will there indeed sometimes happen; his long road home.

and it

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