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und belachte Gestalt, der er durch geschickten Gebrauch des Salzburger Dialektes vollständige Persönlichkeit verlich. So wurde der grüne Hut von nun an das Symbol des grotesk Ko= mischen.

Die Hauptstädter, stets geneigt, über provinzielle Lächerlichkeit ihre eigene zu vergessen, waren bald ganz und gar für ihren Hans Wurst eingenommen, und so schnell und sicher faßte, durch Stranisky's Talent, die deutsche Schauspielkunst in Wien Fuß, daß die italienische Gesellschaft sich auflösen mußte, und das für sie neu erbaute Theater am Kärnthnerthore 1712 von Stranisky bezogen wurde. Zwar mußte er nach sechs Jahren noch einmal den Schauplatz mit der Gesellschaft des Ferdinand Danese in wechselweisen Vorstellungen theilen, aber auch diese abermalige italienische Invasion schlug er zurück, und somit war durch ihn das erste stabile deutsche Theater mit kaiserlichem Privilegium gegründet.

Dieß ist der einzige tröstliche Moment in dieser kläglichen Verfallperiode; der einzige Sieg, den wenigstens die Nationalität erringt, wenn auch nicht der gute Geschmack.

Rühriger Fleiß und eifriges Zusammenwirken ist der Stra niskischen Truppe gewiß eigen gewesen, sonst hätten sie diesen Erfolg nicht hervorbringen können. Geißler und Huber, zwei der ältesten Velthen'schen Genossen, traten hinzu; Gründler Tilly und der berühmte Pantalon Lein has gehörten. ihr an.

Stranitky verstand strenge Ordnung zu halten, die er durch den Spruch zu unterstüßen pflegte: Das Theater ist so heilig wie der Altar und die Probe wie die Sacristei.

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So ehrenhaft der Eifer der Truppe aber gewesen seyn mag, so kann man doch nicht umhin zu wünschen: er möchte einer bessern Sache gegolten haben. Denn betrachtet man, wodurch Stranisky beinahe zwanzig Jahre lang die Wiener Schau- und Lachlust gefesselt hat, so schämt man sich dieses Sieges der deutschen Schauspielkunst. Abgesehen davon, daß Stranisky es auch nicht verschmähte, in den ersten Jahren Marionetten zu Hilfe zu rufen, denn er erhielt 1714 die Erlaubniß vom Magistrate »zum Fasching Abends nach dem Gebet Marionettenspiel zu erhibiren,« so war in seinen Produktionen überhaupt nur dasselbe schrankenlose Durcheinander zu finden, das wir kennen. Nur mußte der Spaß hier immer die Oberhand behalten, von den wilden Blut- und Schauerscenen der norddeutschen Staatsactionen mochte man in Wien nichts wissen. Nahm das Drama bei Stranißky einmal eine ernsthafte Miene an, so mußte es sich in dem vornehmen, preciös geschraubten Style halten; das

Wunderbare und Seltsame war willkommen, aber es mußte fröhlich und harmlos erscheinen. Die Forderungen des süddeutschen Volkscharakters und seine gesunde lebensfrische Empfänglichkeit deckten sich gleich in den ersten Jahren dem jungen deutschen Theater auf; was hätte ein wirklicher Volksdichter darauf bauen können!

Stranisky freilich wußte nur dem Volksgeschmack zu dienen, nicht ihn zu leiten, und sein Repertoir stüßte sich hauptsächlich auf die Hanswurst - Comödie, die in Wien ihre eigentliche Einsegung und Ausbildung erlebte.

Der Rückblick auf den Verfall der mittelalterlichen Schauspielkunst gibt folgendes Resultat: Die Schauspielkunst war durch ihre nationale Treue, durch ihr hartnäckiges Beharren auf ihre volksthümlichen Elemente ins Elend gerathen. Denn bis daher hatte sie nicht mehr des Fremden aufgenommen, als sie zur Vervollständigung ihrer Eigenheit bedurfte. Nur von englischen und holländischen, also von stammverwandten Mustern hatte sie sich leiten lassen, dagegen von Spaniern, Italienern und Franzosen nur Stoffe und unwesentliche Formen herübergenommen, sich aber der fremd= ländischen, neuen Regel schlechterdings nicht unterworfen; im Gegentheile die fremden Stoffe nach ihrer mittelalterlich deutschen Weise schonungslos verarbeitet. Moliere fand die Anfänge seines Einflusses nur, weil seine Stücke als eine bloße Fortbildung der aus dem Fastnachtspiele erwachsenen Stegreifposse angesehen wurden. Die Italienifirung der Burleske war nur den Namen und Kleidern nach geschehen.

So hatte also bis hieher die deutsche Schauspielkunst ihre volksthümliche Selbstständigkeit nicht verlegt und in solcher Treue die gelehrte Dichtkunst tief beschämt, die das nationale dramatische Gebiet ohne einen Federstrich schmachvoll geräumt und sich nicht nur den Nachahmungen des Alterthums, sondern auch denen französischer und italienischer Muster ganz und gar gefangen gegeben hatte, die Allem abtrünnig geworden war, was das Volksdrama bisher geleistet und darum mit der volksmäßigen Bühne völlig zerfallen war.

Es ist der klägliche Verfall der Schauspielkunst wohl nicht zu rechtfertigen, aber ihre Erniedrigung ist nicht bloß verdammlichen Ursachen beizumessen.

Ohne Zweifel hatte das französische Theater, 150 Jahre früher, in gleichem Falle viel klüger und praktischer gehandelt als das deutsche.

Sobald es witterte, sein mittelalterliches Drama werde abgestanden und keine nationale Dichterkraft sey da, ihm auf

zuhelfen, hatte es, kurz entschlossen, sich der italienischen Reaction in die Arme geworfen und mit gewandter Biegsamkeit schon nach einem halben Jahrhundert ein neues nationales Drama gebildet. Derselbe Ausweg war der deutschen Kunst schon längst eröffnet; sie hatte ihn verschmäht. Sie durfte nur gescheidt genug seyn, sich schon in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in die französische Schule zu geben, wie sie es 60 bis 70 Jahre später doch mußte, und sie wäre nicht so tief herabgekommen.

Hatte doch England selbst die Geschmacksherrschaft Frankreichs anerkannt, und seinen Shakespeare als barbarisch verstoßen.

Die deutsche Schauspielkunst hatte keinen solchen großen Dichter, auf den sie mit Stolz und Sicherheit sich stüßen konnte, und dennoch wollte sie ihr mittelalterlich volksthümliches Drama nicht aufgeben, den mütterlichen Boden nicht lassen und klammerte sich krampfhaft daran fest. Es war ein garstiges, schmußiges Weib geworden, diese Mutter, aber es war ihre Mutter.

Blicken wir zurück auf den ganzen schwerfälligen Entwicklungsgang der deutschen Dramatik!

Wie langsam und unbeholfen consolidirt sich das dramatische Leben im Gedichte! Erst in der zweiten Hälfte des sechzehnten. Jahrhunderts erwacht das Bewußtseyn davon.

Um das Jahr 1600 erst wird die Schauspielkunst dem Dilettantismus entnommen und einem eigenen Stande übergeben, und volle 150 Jahre lang sehen wir nun alle theatralischen Möglichkeiten einer rohen, phantastischen Erfindungskraft sich im wilden Gährungsprozesse verzehren, ohne zum Resultat eines Nationaldrama's zu gelangen, ohne die Schauspielkunst vorwärts zu bringen, die wie von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt sich am Ende todtmüde und abgeheßt auf der Stelle wiederfand, wo sie mit frischer Jugendkraft ausgelaufen war.

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Dieses unbehülfliche Beharren bei dem einmal Ergriffenen, diese Langsamkeit des Entschlusses zur Reform, diese zähe Kraft in dem getreuen Aushalten bei dem Angeerbten charakterisirt die mittelalterliche Schauspielkunst bis in ihre leßten Ueberbleibsel.

Schon war die Bildung aller tonangebenden Stände in Deutschland französisch geworden die Schauspielkunst hielt bei dem Kern des Volkes in bärenhafter Deutschheit aus. Längst hatte die dramatische Poesie ihren Vortheil wahrgenommen, war fremdländisch geworden und curfähig, diente der Oper und Versailler Regeln die Schauspielkunst, verlassen und verstoßen nagte am Hungertuche der Improvisation fort und fort, hielt aus in Schmach und Elend, als müsse doch noch einmal der Dichter

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messias kommen, der sie wieder zur Herrscherin im Lande ihrer Väter machen würde. Leider kam er nicht.

Die nuslos unkluge Treue isolirte sie immer mehr von der nun einmal allgemein eingeschlagenen Culturbewegung, sie wurde immer abgeschmackter und unsinniger, ihre Beharrlichkeit artete in brutale Verstocktheit aus und förderte nur ihren Verfall. Die Schauspielkunst war zur bloßen Pöbelbelustigung, zum Hohn der guten Gesellschaft herabgekommen. Sie war nichts als der Hanswurst der Nation, ein Verdauungsmittel, eine Medicin für kranke Magen geworden.

Im Bettelsacke ihre Herrlichkeiten von Ort zu Ort schleppend, mit den Genossen um den zugeworfenen Bissen ringend, wie der Aussaß der Gesellschaft gemieden, in Aberwiß und Schmach versunken, verzweifelnd endlich an der eigenen Kraft und an irgend einer andern Rettung, als so ihr klägliches Geschick vollendet war, da erst reichte sie die Hände den französischen Fesseln hin, an denen sie denn auch glücklich aus dem Schlamme gezogen wurde.

(Der Schluß folgt.)

Art. IX. Norddeutsche Sagen, Mährchen und Gebräuche, aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westphalen. Aus dem Munde des Volkes gesammelt und herausgegeben von A. Kuhn und W. Schwarz. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1848. gr. 8. 560 S.

A. Kuhn erklärt im Eingange dieses, dem Könige von Preußen Friedrich Wilhelm IV. als Förderer desselben zugeeig neten Werkes: die hier erscheinende Sammlung norddeutscher Sagen schließe sich im Ganzen an die, von ihm herausgegebenen märkischen Sagen, und unterscheide sich nur darin wesentlich von diesen, daß sie (wenige Stücke schriftlicher Mittheilungen ausgenommen) durchweg aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft hat. Die Herausgeber haben es sich als lestes Ziel geseßt, Alles, was an Sage und Gebräuchen aus älterer, vor allen heidnischer Zeit, noch im Volke lebendig war, zu sammeln, um so Quellen für die Darstellung der Geschichte des Volksglaubens von den ältesten Zeiten herab bis auf die neueste zu gewinnen, und zu diesem Zwecke war es ihre Absicht, zunächst das Gebiet der Mark noch weiter zu durchforschen und von da zu den Wohnsigen der alten Sachsenstämme weiter vorzuschreiten. Die jest erscheinende Sammlung, sagt A. Kuhn, umfaßt nun einen Theil des dahin gehörenden Gebiets, und wir hoffen, daß sie im Allgemeinen ein der Wahrheit sich näherndes Bild der Volksüberlieferungen für

diesen Theil liefern werde, aber wir glauben auch daß dieses Bild nur in seinen Grundzügen in ihr enthalten seyn wird, da unsere Forschungen für die Marken uns klar gezeigt haben, wie Vieles sich auf den ersten Blick dem Auge des Suchenden zu entziehen. pflegt, und wie nothwendig eine wiederholte Rückkehr zu bereits durchgeforschten Gegenden ist, um Sicherheit und Vollständigkeit in die gewonnenen Ueberlieferungen zu bringen. Im Allgemeinen wird man daher finden, daß die östlichen Gegenden des zu durchforschenden Gebiets in der Sammlung reicher vertreten sind, als die westlichen, da eben von hier unser Ausgangspunkt genommen war, und wir nicht eher mit Erfolg vorschreiten konn ten, als bis wir hier mit Land und Leuten, namentlich auch mit. ihren Dialekten als Mittel zur Verständigung hinlänglich ver traut waren, um jener Grundzüge der Ueberlieferung, auf die es uns ankam, fest versichert seyn zu können; allein, wenn man in dem westlichen Gebiete, namentlich im Hannöver'schen zwischen Weser und Elbe, vielleicht auch noch manche Sage vermissen wird, so hoffen wir doch einerseits, diese in Zukunft nachliefern zu können, andererseits glauben wir, auch aus diesem Gebiete zunächst wenigstens eine deutliche Uebersicht über die von dem Glauben der Vorfahren noch erhaltenen Reste geliefert zu haben. Nur einen Theil haben wir noch fast ganz für die spätere Forschung aufbewahrt, nämlich Westphalen, und wir mußten dieß um so mehr, als unsere Streifzüge an den Gränzen desselben uns zeigten, daß hier noch ein reiches Feld für die Forschung übrig war, welches den vorliegenden Theil allzusehr vergrößert haben würde, andrerseits auch die größere Schwierigkeit des dortigen Dialekts zu behutsamen Fortschreiten aufforderte, da wir oft genug die Erfahrung gemacht haben, daß man nur da verstanden wird, wo man mit dem Volke in seiner Sprache redet. Die Sagen und Gebräuche Westphalens bleiben daher mit dem, was sich für die von uns bereits durchforschten Gebiete noch ergeben wird, für einen zweiten Theil aufbehalten.

Die in der Sammlung vertretenen Gebiete nach ihrer politischen Eintheilung sind daher: die Mark Brandenburg, das Herzogthum Sachsen, Braunschweig, Hannover mit Einschluß Ostfrieslands und Oldenburg; die für manche Zwecke wichtige Begränzung des Umfangs einzelner mythischer Gestalten hat es indessen nothwendig gemacht, zuweilen über diese Gebiete hinauszugehen, und so ist noch Einiges aus Mecklenburg, Pommern und Thüringen hinzugekommen.

Für Anordnung der Sagen schien es den Herausgebern am zweckmäßigsten, diejenigen der besonderen Stämme ungetrennt bei einander zu lassen, und durch Hinzufügung eines ausführ

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