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Art. IV. Schiller's Briefwechsel mit Körner. Zweiter Band. Ber. lin, Verlag von Veit und Comp. 1847.

Mit 1788 bat meine bisherige weltbürgerische Lebensart ein Ende, und ich werde in diesem als ein unnüßer Diener des Staats erscheinen.» So beginnt Schiller seinen Neujahrswunsch an Körner, und er hatte Ursache, den Lebensabschnitt mit einem rothen Strich zu bezeichnen, denn die Zeit, wo sich zu seinen fruchtbaren inneren Kämpfen auch noch die schmählichen äußeren mit Noth und Mangel gesellten, war vorüber. Wir können jedoch die Leis densperiode, die jest hinter ihm lag, nicht verlassen, ohne uns noch einen kurzen Rückblick zu erlauben und einige Betrachtungen, die für die Gegenwart wichtig sind, an diesen zu knüpfen. Wäh rend des ganzen ersten Bandes, der doch eine beträchtliche Reihe von Jahren umfaßt, sahen wir Schiller nicht aus der Misere herauskommen; dennoch that er in diesem Zeitraume den Riesenschritt von den Räubern zum Carlos. Dieß beweist, daß die innere Entwicklung eines von der Natur hinreichend ausgestatteten Geistes nicht so sehr von der äußeren Lage abhängt, wie man gewöhnlich annimmt, und daß ein Jeder sich irrt, der der Welt seine Meisterstücke nur darum schuldig zu bleiben glaubt, weil die Welt ihm seine Renten schuldig geblieben ist. Jean Paul that der Armuth in seinen lyrisch - idyllischen Romanen sicher zu viel Ehre an, als er sie zu verherrlichen suchte; sie ist ein Fluch unter allen Umständen, und wenn er das enge Schulhaus seines Quintus Firlein mit holländischer Sorgsamkeit herauspußte, und sich und uns einreden wollte, daß ein anderes als das Begräbnißfest darin gefeiert werden könne, so ging das eben aus seinem Bedürfniß hervor, sich mit diesem Fluch durch eine poetische Verklärung individuell auszusöhnen, und zeigt nur, wie tief er selbst ihn empfunden hat. Man legt der Armuth aber auch umgekehrt zu viel Gewicht bei, wenn man meint, fie könne Talente erdrücken, die nicht auch unter den günstigsten Verhält nissen unbedeutend geblieben wären; das kann sie nicht. Sie hat nur auf die Richtung Einfluß, die die Talente später nehmen; dieser Einfluß ist aber freilich so groß, daß der Mensch, wenn er zum vollen Bewußtseyn gelangt, seine ganze sittliche Kraft aufbieten muß, um ihn wieder zu beseitigen, wenn er nicht Zeit: lebens Unerquickliches hervorbringen will. Jean Paul gelang das nicht, obgleich er weiter kam, als der bis an sein Ende grollende Herder, er blieb beim Selbstbetrug stehen; Schiller that seine Vergangenheit vollständig in sich ab, und das war sein glänzendfter Sieg. Diese Bemerkungen sollen den Staat nicht etwa in seiner bisherigen kalten Gleichgültigkeit gegen seine besten Kräfte bestärken; sie sollen den Literaturhistoriker nur zur Vorsicht er

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mahnen, wenn es einmal wieder gilt, einer,,Hoffnung" die Grabschrift zu sehen, die ohne Erfüllung blieb, weil ein früher Tod, dem Noth und Elend vorhergingen, sie erstickte. Man erblickt zwar jest in jeder gespisten Feder einen Gewinn der Literatur, und in jeder zerknickten einen Verlust; man zählt die Schreiber, statt die Leistungen zu wägen, und ist nahe daran, den Werth des Literaturzustandes nach der Masse derer, die er ernährt und beschäftigt, abzuschäßen. Doch man sage was man wolle, die Literatur hat es nur mit dem Hervorragenden zu thun, sie besteht nur aus Spißen, und wenn es völlig gelingen sollte, sie, wie man vers sucht, in eine Art von Colonie für das geistige Proletariat umzuwandeln, so ist es mit Kunst und Wissenschaft vorbei. Es ist noch niemals ein so unsinniger Kampf geführt worden, als derjenige ist, den dies Proletariat jest gegen das Talent oder, wie es sich auszudrücken be= liebt, gegen die Aristokratie" des Talents zu führen beginnt. Das Vorhandenseyn dieser „Aristokratie» läßt sich allerdings nicht abläugnen, und eben so wenig kann man es bestreiten, daß sie der Mittelmäßigkeit im Wege steht, d. h. daß sie es ihr erschwert, die Produkte des auf ein Gelüst der Menge spekulirenden Magens, denen mit dem Gehalt jede Eristenzberechti gung fehlt, neben den Resultaten eines für Welt und Nachwelt wichtigen, weil sich niemals in gleicher Form wiederholenden geiftigen Entwicklungsprozesses geltend zu machen. Doch nur ein mit der größten Gemeinheit der Gesinnung gepaarter Unverstand, nur eine Logik, die dem Affen allenfalls auch das Recht einräumte, den ihn beschämenden Menschen aus der Welt zu schaffen, nur eine vollkommene Verthierung kann den Schluß daraus ziehen, der doch schon hin und wieder gezogen ward, den Schluß, daß auch der in der Natur der Dinge gegründeten Herrschaft dieser Aristokratie" ein Ende gemacht werden müsse. Man sei aber nur consequent, man bleibe nicht stehen, sobald dem eigenen Egoismus genug geschah, sondern gehe weiter! Dann wird man, nachdem man die Talente der Gegenwart zum Schweigen gebracht und die noch gefährlicheren der Vergangenheit durch Omar's Radicalmittel beseitigt, allenfalls auch, der Weißbinder und Steinmeßen wegen, die uns übrig gebliebenen Statuen des Alterthums zerschlagen und die Gemäldegallerien zerstört hat, nicht umhin können, mit dem Selbstmord aufzuhören. Denn, so wie das Talent abgethan ist, tritt der gewöhnliche Menschenverstand, der ja auch nicht Jedermanns Sache zu seyn pflegt, an seine Stelle und muß, wenn er nicht sein Princip aufgeben. will, den Plas räumen; das muß aber so fort und fort gehen,

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bis der lette Mensch und die erste Bestie als Thronprätendenten zusammenstoßen, wenn nicht dieses unvermeidlichen Ausgangs halber der Anfang noch einmal in Ueberlegung gezogen und die Ueberzeugung gewonnen wird, daß die höchste menschliche Thätigkeit sich nicht zum Handwerk erniedrigen läßt, ohne sich in ihr Gegentheil zu verkehren. Die Literatur ist nicht dazu da, die Leute, die nirgends unterzukommen wissen, zu versorgen, und es ist ein besserer Zustand, wenn sie dem Begabtesten das Nothwendige versagt, als wenn sie es dem unbegabten gewährt. Denn das Talent ist nicht, wie die erworbene Fertigkeit, ein Nebenbei, das der Besißer bei Seite wirft und mit etwas Ersprießlicherem vertauscht, wenn es nichts einträgt; es ist der gesteigerte Mensch in seiner unzerstörbaren Wesenhaftigkeit, und es steht gar nicht in seiner Macht, von sich selbst abzufallen. Es wird daher, ohne nach äußeren Accidentien viel zu fragen, zu allen Zeiten und unter allen Umständen das Seinige thun, und den Hauptzweck der Literatur, der Menschheit durch treue Firirung jedes symbolischen Lebens- und Entwicklungsprozesses zu einem immer klareren Selbstbewußtseyn zu verhelfen, stets im Auge behalten; es wird in der dämmernden Idee, die ihm aufgeht, seine Aufmunterung, in der strahlend hervorbrechenden seinen Lohn erblicken, und, des Bedürfnisses wegen, lieber mit Spinoza Brillen schleifen, als mit der Mittelmäßigkeit Leihbibliothekenromane und Hoftheaterstücke verfertigen. Das beweist Schiller, das beweist ein Jeder vor und nach ihm, der genannt zu werden verdient, und es ist nicht überflüssig, daran zu erinnern!

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Gehen wir jetzt zum zweiten Bande über. Der Schluß des ersten zeigte uns Schiller, wie er sich entschloß, in Jena eine Profeffur der Geschichte zu übernehmen; aus dem Anfang des zweiten ersehen wir, wie er sich vorbereitet. Diese Woche schreibt er habe ich fast nichts gethan, als Schmidt's Geschichte der Deutschen vorgenommen und Pütter's Grundriß der deutschen Staatsverfassung, welcher lestere meinen ganzen Beifall hat. Besonders muß sich ihr ganzer Werth alsdann erst ergeben, wenn man durch eine gründliche Geschichte des deutschen Reichs im Detail bereits in den Stand gesezt ist, diese Resultate gleichsam selbst daraus zu ziehen, und solche also im Pütter'schen Buche nur recapitulirt. Das Ganze ist ein sehr klar aus einander geseßtes Gemälde aller allmäligen Fortschritte, welche jede politische und geistliche Macht im Laufe der Geschichte in Deutschland gethan hat. Schmidt ist unendlich schäßbar durch die Menge der Quellen, die er benugt hat, und in seiner Zusammenstellung ist

kritische Prüfung; aber er verliert durch seine befangene parteiische Darstellung wieder sehr. Im Ganzen freue ich mich doch auf dieses unendliche Feld, das durchzuwandern ist, und die deutsche Geschichte besonders will ich in der Folge ganz aus ihren Quellen studiren." Dabei wird die Ueberarbeitung und Herausgabe der historischen Memoiren unternommen und Körner zur fleißigsten Theilnahme aufgefordert. Troßdem entsteht eines der bedeutendsten Gedichte die Künstler! und wird Gegenstand sorgfältigster Erör terung. Der Briefwechsel ist gerade an diesem Punct wieder höchst interessant und instructiv. Er wirft zunächst auf Schillers dichterische Individualität ein helles Licht. Wie später im mündlichen Gespräch mit Goethe, so wird das halb entstandene, halb im Entstehen begriffene Product hier in der schriftlichen Unterhaltung mit Körner nach allen Seiten besprochen und in Folge dessen be= schnitten und ergänzt. Ja, nicht bloß Körner hat Einfluß darauf, auch Wieland und Jeder, mit dem Schiller gerade verkehrt. „Nun folgt heißt es aber ein ganz neues Glied, wozu mir eine Unterredung mit Wieland Unlaß gegeben hatte, und welches dem Ganzen eine schöne Rundung gibt. Wieland nämlich empfand es sehr unhold, daß die Kunst nach dieser bisherigen Vorstellung doch nur die Dienerin einer höheren Kultur sei; daß also der Herbst immer weiter gerückt sei, als der Lenz und er ist sehr weit von dieser Demuth entfernt. Alles, was wissenschaftliche Kultur in sich begreift, stellt er tief unter die Kunst, und bes hauptet vielmehr, daß jene dieser diene. Wenn ein wissenschaftlis ches Ganze über ein Ganzes der Kunst sich erhebe, so sei es nur in dem Falle, wenn es selbst ein Kunstwerk werde. Es ist sehr vieles an dieser Vorstellung wahr, und für mein Gedicht vollends wahr genug. Zugleich schien diese Idee schon in meinem Gedichte unentwickelt zu liegen, und nur der Heraushebung noch zu be dürfen. Dieses ist nun geschehen. Nachdem also der Gedanke philosophisch und historisch ausgeführt ist, daß die Kunst die wissenschaftliche und sittliche Kultur vorbereitet habe, so wird nun gesagt, daß diese leßtere noch nicht das Ziel selbst sei, sondern nur eine zweite Stufe zu demselben, obgleich der Forscher und Den= ker sich vorschnell schon in den Besiß der Krone geseßt und dem Künstler den Plag unter sich angewiesen: dann erst sei die Vollendung des Menschen da, wenn sich wissenschaftliche und sittliche Kultur wieder in die Schönheit auflöse." Das beweist auf's Schla= gendste, was die gründliche Analyse seiner Arbeiten denn auch, freilich zu ihrem großen Nachtheil, bestätigt, daß der Schöpfungsact bei ihm kein reiner war, daß Zeugen und Machen bei ihm nicht unmittelbar zusammenging, sondern weit auseinander fiel. Es tritt natürlich nicht überall so schneidend hervor, wie bei den

Künstlern, einem Product, das schon seiner Art nach mehr ein Zeugniß für Schillers gründliche Erkenntniß der Kunst seyn muß, als eine über allen Zweifel erhabene künstlerische That; es verläugnet sich jedoch fast nirgends ganz und gibt seinen Compositionen, den dramatischen sowohl wie den lyrischen, im Ganzen und im Einzelnen etwas Zwitterhaftes, das ihnen, wie den Rousseauschen, zwischen glühenden Phantasiegeburten und kalten Verstandeshervorbringungen einen Plag in der Mitte anweist. Der Briefwechsel gibt uns hier aber nicht weniger ein Maß für Körners kritische Capacität, und zeigt uns, wie weit wir seine Urtheile adoptiren dürfen. „Daß Du die Kunst — schreibt er - der wis senschaftlichen Kultur nachseßtest, habe ich nicht gefunden. Die Wahrheit, welche Du für das Urbild der Schönheit erklärst, ist etwas ganz anderes, als die Bruchstücke menschlicher Kenntnisse und die Vorschriften der gemeinen Moral. Ich verstehe darunter das Ideensystem eines vollkommenen Geistes, der keiner dunkeln Begriffe fähig ist, der bloß erkennt, ohne zu empfinden. Ist das Wesen, welches jest Mensch ist, bestimmt, sich mit jeder Revolution seiner Eristenz jenem Ideale stufenweise zu nähern, so läßt sich behaupten, daß die Entwickelung des Gefühls für Schönheit eine Vorbereitung zu einem künftigen Zustande sei. Es gibt etwas Höheres für denkende Wesen überhaupt, nicht für den Menschen insbesondere. Ausschließendes Bestreben nach Wahrheit beschränkt den Menschen. Erkenntniß ist ihm sparsam zugemessen, fast nur so viel, als für seine anderen Bedürfnisse zureicht. Seine Sphäre zu erweitern bleibt ihm nichts übrig, als Ahnung durch Phantasie. Gefühl für Schönheit ist es, was das Chaos der Erfahrungen ordnet und zu Ergänzung der Lücken auffordert. Dieß ist der Ursprung der erhabensten Systeme, aber zugleich auch der ausschweifendsten Verirrungen der Einbildungskraft. Diese zu verhüten und jene zu bewähren, ist das Geschäft der vollkomme nen Kritik. Es gibt aber eine Kritik des Wahren und eine Kritik des Schönen. Die Kritik des Wahren sucht in der Erfahrung die Belege zu den Dichtungen der Phantasie. Die Kritik des Schönen prüft das Ideal als ein Geistesproduct, unabhängig von Wahrheit, entdeckt seine Mängel und sucht seine Vollkommenheit zu erhöhen. Dieses trifft zusammen mit Deiner und Wielands Idee von dem Ziele der wissenschaftlichen Kultur. Die Kritik des Schönen nämlich ist noch zurück, und sie ist es allein, die die Wissenschaft zum Kunstwerk adeln kann. Ohne sie wird durch die Kritik des Wahren die Schöpfung der Phantasie nur zerstört, und bei allem Gewinn an zuverläßiger Erkenntniß bleibt der ganze Vorrath von Erfahrungen doch immer ein unübersehbares Chaos. Das neue Glied paßt also sehr gut zu dem übrigen In

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