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durch welche sie allein erst diesen Namen verdienen, nach der die Ordnung des zu einem höheren Selbstbewußtsein erhobenen Ganzen alle Theile durchdringt, und wonach sie in sich selbst der Freiheit einen Schutz gegen individuelle Willkür gewähren. Aber die formellen Einrichtungen gewinnen einen positiven Inhalt nur durch die Gesinnungs- und Willenstüchtigkeit der Staatsgenossen, der Regierenden wie der Gehorchenden, durch die ernste Zucht, welche jeder zuerst an sich selbst, und darnach einer an dem andern zu üben hat. Diese aber finden wieder nur in einer vom ganzen Ernst des Christentums durchdrungenen und aus seiner Tiefe geschöpften sitt= lich-religiösen Weltanschauung ihre Gewähr.“

Nicht minder bezeichnend für den ganzen bisher geschilderten Charakter der wissenschaftlichen Arbeiten Hundeshagens ist die Abhandlung: „Der Communismus und die asketische Socialreform im Laufe der christlichen Jahrhunderte“, mit welcher er sich als Mitarbeiter an dieser Zeitschrift (Jahrg. 1845, Heft 3 u. 4) einführte. Die damals kaum erst laut ge= wordenen und doch schon viele Gemüther ernstlich beunruhigenden Losungsworte des modernen Socialismus und Communismus veranlaßten ihn zu dieser Arbeit; er sah voraus, daß diese gesellschaftlichen Fragen in nicht ferner Zukunft auch für uns Deutsche zu brennenden werden und auch von kirchlicher Seite die ernsteste Beachtung verlangen würden; darum wollte er zu vorläufiger Orientirung über dieselben den Beweis liefern, daß der Communismus und Socialismus in den christlichen Zeitläuften schon eine zusammenhängende Geschichte hat, welche ihn eng in den Entwickelungsgang gewisser in und neben der Kirche aufgekommener Principien verflicht. Die asketische Ueberspannung des Gegensatzes zwischen dem geistlichen und dem natürlichen Leben, die er bis zu ihren vorchristlichen, heidnischen und jüdischen Ursprüngen zurückverfolgt, weist er als den Mutterboden nach, aus welchem von der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts an die Tendenzen zu commn= nistischer Umgestaltung der socialen Verhältnisse aufwucherten. Dann zeigt er in einer Reihe von geschichtlichen Bildern, wie die Idee der asketischen Socialreform, nach ihrem ersten Hervor= treten im Donatismus, in dem Mönchstum Eingang in die Kirche

fand; wie sie dann seit dem 11. Jahrhundert mit den gegen die Berweltlichung der Kirche und die Entartung des Mönchstums gerichteten Bestrebungen, soweit diese aus religiösen Motiven entsprangen, und zwar sowol mit den innerkirchlichen, als mit den häretischen (Katharer, Waldenser), sich verband; wie sie seit dem 14. Jahrhundert durch die Verbreitung pantheistischer Vorstellungen unter dem Volke neue Unterlagen gewann (Brüder und Schwestern des freien Geistes), und auch in der hussitischen Bewegung hervortrat, sobald die asketischen Grundsäge einen Theil der aufgeregten. Menge ergriffen; wie sie endlich in den gewaltigen Bewegungen des Reformationszeitalters noch einmal in aller Stärke im Widerstand gegen das echt evangelische Princip als wiedertäuferische Socialreform hervorbrach, und in deren drei Entwickelungsstadien, dem Thüringer Bauernkriege, den münster'schen Excessen und dem Genfer Libertinismus ihre ganze Gefährlichkeit offenbarte, zugleich aber in dem legteren schließlich in ein System genialer Lebensweisheit auslief, in welchem ihre von Haus aus so strengen Grundsäge in eine Art von religiöser Apologie für die verderbten Sitten der höheren Stände umgeschlagen waren. Obschon die moderne Socialreform durch keine historischen Fäden mit der alten asketischen verknüpft ist, und nicht wie diese vom Geist, sondern vom Fleisch ihren Ausgang nimmt, so fand Hundeshagen doch den Ursprung beider, das Vorhandensein materieller Nothstände, den Rückfall in heidnische Irrtümer und eine große Schuld der gesamten Zeit, und ebenso auch den beiderseitigen Gedankenlauf, namentlich die verkehrte Art, wie von jenen verschiedenen Ausgangspunkten aus die jittlichen Probleme für das Individuum, für den Staat und die Gesellschaft aufgefaßt werden, und das beiderseitige Verhältnis zum evangelischen Christentum, so wesentlich gleichartig, daß er in den unheilvollen Endergebnissen der asketischen Socialreform die Rejultate der modernen schon vorgebildet fand, und lebhaft wünschte, man möge sich in kirchlichen Kreisen bei Zeiten aus der Geschichte jener über das Wesen dieser und über die durch sie der Kirche gestellten Aufgaben orientiren.

IV.

Wir haben die frühesten Publicationen Hundeshagens, als die minder bekannten, etwas ausführlicher behandelt. Traten uns darin auch schon manche Charakterzüge des „deutschen Theologen“ vor Augen, so waltete doch zugleich das Lebendige Interesse vor, mit welchem er sich in das kirchliche und bürgerliche Gemeinwesen seiner neuen Heimat hineinlebte. Seine Liebe zu der deutschen Heimat und dem deutschen Volke wurde aber durch den langen Aufenthalt im Ausland keineswegs geschwächt, sondern nur vertieft 1). Mit ernster anhaltender Aufmerksamkeit verfolgte er den Gang des politischen und des kirchlichen Lebens in Deutschland, und ließ sich durch denselben zu tiefergehenden Studien veranlassen. Erfreulich waren die Wahrnehmungen, welche er von seiner in der Ferne aufgeschlagenen Warte machte, im Ganzen und Großen durchaus nicht. Die Symptome der Krankheit, welche mehr und mehr das deutsche Volksleben ergriffen hatte, traten im Lauf der vierziger Jahre auf dem politischen und dem kirchlichen Gebiet immer augenfälliger an den Tag. Eine fieberhafte Aufregung hatte sich der Gemüther bemächtigt, in welcher fast nur noch der Ruf und die Stichworte der einander auf's heftigste bekämpfenden Parteien Gehör fanden. Am größten war die Verwirrung der Begriffe, die haltlose Zerfahrenheit und wilde Zerrissenheit im Gebiet des kirchlichen Lebens. Denn dieser Boden war der Tummelplay, auf welchem die Kräfte für die politische und sociale Revolution geübt werden konnten, ohne viel Gefahr mit der Strafgewalt des Polizeistaats in Conflict zu kommen; und hier vor allem konnten sich erwogene und unerwogene Meinungen mit ungeduldigem Ungestüm aus der Schule nach dem Leben hindrängen, um sich flugs an demselben gestaltend und umgestaltend zu versuchen. Eine gründliche Verstimmung gegen das Christentum herrschte in denjenigen Schichten des Volkes vor, welche mehr oder weniger an der Bildung theilhatten, und für die Fragen des öffentlichen Lebens interessirt waren. Namentlich waren die Wortführer der Partei, welche eine Kräftigung unseres nationalen

1) Vgl. seine Aeußerung in der Darmstädter Allg. Kirchenzeitung 1852, S. 763.

Daseins und eine Verbesserung unserer öffentlichen Zustände durch Gewährung größerer Freiheit erstrebte, so achtungswerth und edel sie auch sonst nach Gesinnung und Charakter sein mochten, doch fast durchgehends mit dem Evangelium zerfallen und nur allzu bereit sich mit den erklärten Feinden alles Christentums im Kampf gegen die in den Stürmen der Zeit zu unerwarteter Kraft kommenden tieferen christlichen und kirchlichen Lebensregungen zu verbünden. Andererseits galt vielfältig in den Kreisen frommer Christen das Axiom: „je ferner den politischen Interessen der Gegenwart, desto näher dem Reiche Gottes". Und die Männer von weiterem Umblick und umfassenderen Interessen, welche sich den Wiederaufbau der zerfallenen Kirche vor andern zur ernsten Aufgabe gemacht hatten, waren meist in dem Maße voll von Mistrauen und Vorurtheilen gegen die mehr und mehr Boden gewinnenden nationalen und liberalen Bestrebungen, daß sie die antichristlichen Consequenzen und die entsittlichende, das deutsche Volk in's Verderben stürzende Macht des constitutionellen Princips nicht schwarz genug schildern konnten 1), und ihre Interessen durch solidarische Verbündung mit der politischen Reactionspartei am besten zu wahren meinten.

In der theologischen Wissenschaft aber stand damals der einseitige Intellectualismus und Kriticismus der Tübinger Schultheologie auf dem Höhepunkt seiner Entwickelung und seines Einflusses, und seine Vertreter fühlten sich in der kühlen Atmosphäre der nur um ihrer selbst willen vorhandenen Wissenschaft so wohl, daß sie in unglaublicher Naivetät auch dem deutschen Volk zumutheten, sich mit der auf dem Gebiet der Wissenschaft entfalteten productiven schöpferischen Kraft über alle politische und nationale Misère zu trösten, und die Klagen über die kirchlichen Nothstände nur aus der Furcht vor der durch sie selbst herbeigeführten neuesten Entwickelung der Theologie, die man ebenso wenig verachten, als

1) Einen Beleg dafür liefert noch eine sonst viel Gutes und viel Anerkennung enthaltende Recension von Hundeshagens Deutschem Protestantismus von Thiel im Evang. Kirchen- u. Schulblatt zunächst für Schlesien 1848, Nr. 5-7.

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wissenschaftlich bekämpfen und überwinden könne, ableiteten 1). Aber auch bei den Theologen, welche an einer Erneuerung der theologischen Wissenschaft auf den von den Reformatoren wieder aufgedeckten Glaubensfundamenten arbeiteten, war meist nur eine fühle, vornehme und vorsichtige Zurückhaltung gegenüber den Interessen und Aufgaben des öffentlichen Lebens, im besten Falle nur ein Herz für die praktisch-kirchlichen Interessen und die christliche Vereinsthätigkeit wahrzunehmen. Nur ganz vereinzelt trat da und dort ein Theologe auf, der das odium nicht scheute, welches durch den Versuch die politischen Interessen der Gegenwart von kirchlichen und theologischen Gesichtspunkten zu beleuchten, auf allen Seiten erregt wurde. Und keiner fand sich, der den Muth und das Zeug gehabt hätte, in dem wirren Kampfgewühl der Parteien das Panier zur Sammlung derer aufzupflanzen, welche die nationale Wiedergeburt des deutschen Volkes und die Gewährung unverkümmerter staatsbürgerlicher Freiheit nur im Zusammenhang mit einer sittlichreligiösen Erneuerung des Volkslebens und auf dem altbewährten Grund eines Lebendigen Christentums erstreben wollten und für möglich hielten 2).

Unter diesen Verhältnissen mußte Hundeshagen nach seinem ganzen bisherigen Bildungs- und Entwickelungsgang unabweisbar den Beruf in sich fühlen in sein Heimathland das Losungswort hinüberzurufen, welches die Sammlung und Kräftigung einer solchen neuen Partei herbeiführen und nach allen Seiten hin zur Selbstbesinnung und nüchternen Auffassung der wirklichen Lage der Dinge auffordern konnte, Er hat es gethan in seinem allbekannten Werk: „Der deutsche Protestantismus, seine Vergangenheit und seine heutigen Lebensfragen im Zusammenhang der gesamten Nationalentwickelung beleuchtet von einem deutschen Theologen“ (Frankfurt a/M. 1847), und zwar in so

1) Vgl. Baurs Kritik des Werkes Hundeshagens in den Theol. Jahrbüchern von Baur und Zeller, Jahrg. 1847, Heft 4, bes. S. 512 f.

11. 568.

2) Wie manche Parallelen zwischen den Verhältniffen der vierziger Jahre und

denen der Gegenwart gezogen werden können, wird keinem aufmerksamen Beobachter der Zeichen der Zeit entgehen.

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