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nie zu denen, die in unmuthigem Verdruß und verzweifelndem Peffimismus die Dinge im Argen liegen lassen. Auch wenn die Wogen hoch giengen, und die gute Sache, die er zu vertreten hatte, schwere Schädigungen erfahren hatte, konnten ängstlichere und zaghaftere Naturen sich immer an seinem getrosten Muth und seiner zuversichtlichen Hoffnung aufrichten. Denn er fannte und hatte den Glauben, der nicht auf Menschenweisheit sondern auf Gottes Kraft steht, den Glauben, der Muth und Kraft von oben und der Sieg ist, der die Welt überwunden hat. Und in diesem Glauben erhob er sich immer wieder zu dem Idealismus der Gewißheit, daß, wie viel Boden auch die Mächte der Finsternis zeitweilig gewinnen mögen, die sieghafte, welterneuernde Kraft des Evangeliums noch offenbar werden und der Herr der Kirche das Feld behalten müsse. Daneben liebte er es auch, wenn er die politische oder kirchliche Entwickelung in falsche Bahnen gerathen sah, die Verzagten auf die Erfahrung zu verweisen, daß man in verwirrten und verschobenen Verhältnissen die unfehlbar, wenn auch mitunter nur langsam und spät eintretende Reaction der gottgeordneten Natur der Sache" so gewiß zu erwarten habe, als es sicher ist, daß ein Mann, welcher sich auf den Kopf stellt, diese Stellung nicht auf die Dauer aushalten wird 1).

Auf Grund seiner aus dem lebendigen Christenglauben erwachsenen, Idealismus und Realismus einheitlich verbindenden Welt- und Lebensanschauung hat Hundeshagen theoretisch und praktisch seine Stellung im öffentlichen Leben, und namentlich in der Kirche genommen, immer bestrebt hinsichtlich der streitigen Fragen die von Gott geordnete Natur der Sache klar zu erkennen, die gegebenen Zustände und Verhältnisse genau auf ihren wirklichen Charakter anzusehen und daran zu messen, und an seinem Theile das, was jene Natur der Sache erforderte, zur Geltung bringen zu helfen.

In dem Bisherigen suchte ich die allgemeinsten Umrisse des zu zeichnenden Charakterbildes anzudeuten. Bei der nun zu geben

1) Bemerkungen zu einer beabsichtigten Revision der Verfassung, S. 42. Sechs Jahre, S. 20 ff.

den näheren Ausführung scheint es mir am angemessensten, mich an die Zeitfolge der Lebens- und Charakterentwickelung zu halten. Von selbst tritt dann das Werk, welches Hundeshagens Namen, obschon es ihn nicht an der Stirne trug, im ganzen evangelischen Deutschland zu hohen Ehren gebracht hat, in den Mittelpunkt der Darstellung. Und dies entspricht ganz meiner Aufgabe. Denn wenn auch sein Deutscher Protestantismus einem beträchtlichen Theile seines Inhaltes nach eine Gelegenheitsschrift ist, hervorgegangen aus den Antrieben eines bestimmten Zeitmoments, so enthält er doch im wesentlichen schon alle Grundlinien seines kirchlichen, politischen und wissenschaftlichen Glaubensbekenntnisses, und alles, was er nachmals geschrieben und gethan hat, läßt sich als nähere Ausführung, genauere Bestimmung und praktische Bewährung jenes Glaubensbekenntnisses ansehen.

III.

Ich muß es mir versagen, die Entwickelung Hundeshagens in seinen Jugend- und Jünglingsjahren eingehender darzustellen und die verschiedenen Factoren aufzuzeigen, welche zur Ausbildung seines Charakters auf Grund der gottverliehenen, individuellen Ausstattung zusammengewirkt haben. Nur einige Andeutungen darüber mögen mir verstattet sein. Auch in späteren Lebensjahren liebte es Hundeshagen, sich als „ein Kind Hessens“ zu bezeichnen 1); er sprach wol auch den Wunsch aus, man möge „manche seiner Arten und Unarten" aus dem hessischen Stammesgenius" er= klären; und gewiß darf sein lebendiger Rechts- und Ordnungssinn, seine aller conventionellen Unwahrhaftigkeit feinde Geradheit, seine Achtung vor dem geschichtlich Gewordenen, die dann und wann an Sprödigkeit und Schroffheit streifende Entschiedenheit seiner Haltung, seine zähe Beharrlichkeit und seine Neigung lebhaften Eindrücken von dem sittlichen Werth oder Unwerth von Personen und Sachen unumwundenen vollkräftigen Ausdruck zu geben, theilweise als treu bewahrtes hessisches Stammeserbe angesehen werden. Auch hin

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1) 3. B. Allg. Kirchenzeitung 1852, Nr. 93, S. 755.

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sichtlich des calvinisch-reformirten Standpunktes, welchen er innerhalb der Union vertrat, und in nachdrücklicher und begeisterter Hervorhebung der eigentümlichen Vorzüge und Gnadengaben dieser Confession geltend machte, wies er gerne darauf hin, daß er schon nach seiner Geburt der reformirten Kirche angehöre 1). Die Einflüsse, welche sowol jener, Stammesgenius" als der kirchliche Gemeingeist auf seine Entwickelung übten, waren natürlich vorzugsweise vermittelt durch das Elternhaus und die Schule. Der hier herrschende Geist pflegt ja überhaupt nach allen Seiten hin die entscheidendste Bedeutung für die Charakterbildung zu gewinnen. Hundeshagen ist von seiner treuen, in der Schule der Leiden. geübten Mutter schon früh unterwiesen worden, in kindlich-frommem Sinn zu Gott und dem Heiland" aufzublicken. Der Vater hat durch das Vorbild seiner Ehrenhaftigkeit, Uneigennützigkeit und seines unabhängigen, aller Menschendienerei abholden Wesens, sowie durch seine lebendige Theilnahme an den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens, dem empfänglichen Sinn und Geist seines Erstgeborenen eine ähnliche Richtung gegeben. Was Hundeshagen in seinen Beiträgen" S. 139f. über Zwingli gesagt hat, spiegelt augenscheinlich wieder, wie er selbst als Knabe die Nachwirkungen der Begeisterung der Freiheitskriege empfunden und unter den sittlichen Eindrücken der Weltbegebenheiten und vermöge des einer underbildeten Jugend eigenen sittlichen Pathos für Ehre und Schmach, Recht und Unrecht, Gutes und Böses schon früh ein lebendiges Interesse für das Allgemeine und ein in seiner Art entschiedenes Urtheil über vaterländische Dinge gewonnen hat. Daneben lehrten ihn die Schatten, die sich über das Gemüth des Vaters und damit auch über das häusliche Leben lagerten, und der Mutter früher Tod auch den tiefen Ernst des Lebens kennen, und übten schon den Knaben durch die Nöthigung, sich an der Aufgabe der Erziehung der jüngeren Geschwister zu betheiligen, in liebeswarmer, theilnehmender und selbstverleugnender Hingabe an andere. Aus den Schulen (in Hersfeld, Tübingen, Fulda und Gießen) aber brachte er nicht nur einen wohlgefüllten, besonders an Sprachkenntnissen

1) So noch am Schlusse des Vorworts zu seinen „Beiträgen“.

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reichen „Schulsack“, sondern auch ein strenges Pflichtgefühl, einen ebenso dem Idealen zugewendeten als nach lebendiger Erfassung des Wirklichen verlangenden Sinn und eine in einem zahlreichen Freundeskreis entwickelte Gabe für belebten und gehaltvollen ge= selligen Verkehr mit auf die Universität. Das in Gießen begonnene und nach unfreiwilliger, mit fleißiger Privatarbeit ausgefüllter, fast einjähriger Unterbrechung 1) in Halle vollendete Universitätsstudium hat über die Richtung und den Charakter seines nachmaligen wissenschaftlichen Strebens und seiner Lebensarbeit entschieden. Schon in Gießen hat ihm negativ seine Unbefriedigtheit von den zwar gelehrten, aber auch ermüdend trockenen exegetischen und dogmatischen Vorlesungen Kühnöls, denen er keinerlei tiefere, lebendige Theilnahme für den Gegenstand abzufühlen vermochte, und positiv die Anziehungskraft der in ihrer Art gründlichen und lebendigen kirchengeschichtlichen Vorlesungen des damaligen Prälaten J. E. Chr. Schmidt den inneren Beruf für die Arbeit auf dem Gebiet der historischen Theologie zum Bewußtsein gebracht. Und als er dann in Halle mehr, in die Tiefen einer die Heilswahrheiten des Evangeliums lebendig erfassenden Theologie hineinschauen lernte, wuchs in der Schule des trefflichen Thilo und unter den Anregungen des feinsinnigen Ullmann die begeisterte Lust und Liebe für den erwählten Beruf, und sein ausdauernder Fleiß errang die dazu erforderliche umfassendere Ausrüstung. Auch seine lebhafte Betheiligung an den Bestrebungen der Burschenschaft, deren Sprecher und geistiges Haupt er in Gießen war, hat, wie viel Unklarheit und Ueberschwenglichkeit sich auch einmischen mochte, für seine spätere Charakterentwickelung ihre guten und gesunden Früchte getragen. Indem sie sein Interesse an den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens lebendig erhielt, und die Flamme seiner deutschnationalen Begeisterung hoch auflodern ließ, trug sie zugleich wesentlich dazu bei, daß ihm von vornherein der Ruhm bloß historischer Schulgelehrsamkeit und das Vermögen, bändereiche Werke schreiben zu fönnen, nicht als ein Ziel erschien, das des höchsten Strebens und Ringens werth wäre, daß er vielmehr schon damals mit allem

1) Vgl. Christlieb a. a. D., S. 7 f.

Eifer nach einem Schaß von Erkenntnissen strebte, die sich bewähren könnten als fruchtbringend für das öffentliche Leben. Auch sorgte das staatspolizeiliche Einschreiten gegen die Burschenschaft dafür, daß er hinreichend Gelegenheit fand sich in der Vertretung corporativer Interessen, unter opferwilliger Zurückstellung der persönlicher., ernstlich zu üben, und zugleich auch manchen Blick in die tiefen sittlichen Schäden des damaligen Polizeistaats und seiner Büreau tratie zu thun.

Die ersten Schritte, welche er in Gießen vom Herbst 1831 bis 1834 in der akademischen Docentenlaufbahn that, waren, so sehr ihm auch die Vorbereitungsarbeit durch die politische Aufregung jener Zeit und besonders durch die oft den ganzen Tag beanspruchende Pflege des kranken Vaters erschwert wurde, doch überaus ermuthigend. Seine Vorlesungen erstreckten sich über die Kirchengeschichte, Dogmengeschichte, die christlichen Altertümer und einzelne Bücher des Neuen Testamentes. Die Mittelpunkte seiner damaligen Studien deuten die Themata an, welche in seiner Doctordissertation (de Agobardi vita et scriptis, P. I, vitam cont., Giessen 1831) und in seiner Licentiatenschrift (Ueber die mystische Theologie des Johann Charlier von Gerson", aus dem vierten Band der Zeitschrift für die historische Theologie besonders abgedruckt, Leipzig 1834) behandelt sind. Leztere war die erste, aus den Quellen geschöpfte, vollständigere Darstellung der mystischen Theologie Gersons; sowol ihre gewissenhafte Treue und feine, die Tiefe und den Reichtum einer edlen christlichen Mystik sinnig würdigende Ausführung, als die schöne, kräftige Fülle des Ausdrucks fand die verdiente Anerkennung; namentlich wurde gerühmt, daß Hundeshagen nicht, was er aus allen Schriften Gersons zusammengelesen, nach subjectivem Belieben aneinandergereiht, sondern, die systematischen Hauptschriften zu Grunde legend, den Faden ihrer Entwickelung genau verfolgt, und die entlegeneren Stellen aus anderen Schriften meist mit glücklicher Combinationsgabe an der Stelle eingefügt habe, wo sie sich von selbst einlegen. Und wenn auch das Streben nach treuer objectiver Darstellung des Einzelnen noch allzusehr die freie Reproduction der Totalanschauung Gersons aus den Tiefen ihres eigensten Wesens

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