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1. Ueber das komische Element in den Satiren des D. Junius Juvenalis. Von Dr. Ernst Neissner.
2. Schulnachrichten vom Rector.

1876. Progr. Nr. 425.

Dresden,

Druck von E. Blochmann und Sohn.

1876.

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Ueber das komische Element in den Satiren

des D. Junius Juvenalis.

Wenn man alles das für komisch erklärt, was die Empfindung des Lächerlichen erregt1), so geht man zu weit, da es vieles giebt, was lächerlich erscheinen kann, ohne dass es komisch ist. Das oft nur innerliche Lachen, das durch einen komischen Act erregt wird, ist ein ästhetisches, und als solches wohlwollender Art, wenn auch dahinter Schalkhaftigkeit oder gutmüthige Bosheit verborgen ist. Auszuschliessen ist vor allen Dingen,,das Lachen, das aus einem bitteren Affecte hervorgeht", namentlich das ärgerliche Lachen des satirischen Ernstes2), der Schadenfreude und das mäckernde der Frivolität 3)". Wenn also z. B. Juvenal einen ägyptischen Stutzer, den Emporkömmling Crispinus, schildert, wie er das Purpurmäntelchen, das während des Gehens vom Winde hin- und herbewegt wird, in geckenhafter Weise immer wieder an sich zieht und dann schmachtend mit der Hand sich Kühlung zufächelt, wobei er seine goldenen Sommerringe1) in der Sonne spielen lässt, so ist dieses Gebahren an und für sich lächerlich. Auch Juvenal lacht darüber, aber aus Aerger, dass solche und ähnliche Menschen in Rom jetzt eine Rolle spielen können. Dies und noch so manches Andere ist ihm ein Zeugniss von dem tiefen Falle Roms, und es ist daher schwer, nicht Satiriker zu werden.

Bei den verschiedenen Ansichten über den Begriff des Komischen scheint mir eine kurze Erörterung desselben durch das Thema geboten. Jede komische Wirkung beruht auf einem Contraste, wovon das eine Glied sich in unvorhergesehener Weise dem andern gegenüberstellt, das auf Geltung Anspruch

Doch ist es nothwendig, dass diese zwei Glieder schnell und plötzlich in einander übergehen und so sich zum Widerspruch steigern, wodurch die ursprüngliche Idee verloren geht. So wird unzweifelhaft eine komische Wirkung nicht ausbleiben, wenn jemand eine Höflichkeit sagen will, jedoch augenblicklich die rechten Worte nicht findet und sich der Art verfährt, dass die Höflichkeit in eine Grobheit sich verwandelt, wobei zugleich die ursprüngliche Absicht hervorleuchtet, die aber nicht zum Ausdruck kommt. Durch eben diesen Widerspruch entsteht jene Empfindung, deren Aeusserung allgemein als ein Lachen bezeichnet werden kann, wobei aber durchaus kein unangenehmer, ,,schmerzlicher", Eindruck zurückbleiben darf), d. h. das Widerwärtige darf nicht die Oberhand behalten, so dass anstatt einer Befreiung des Geistes eine Belastung desselben erfolgt. Daher findet auch das moralisch Hässliche und das Böse seine Stelle im Gebiete des Komischen, insofern als es naiv ist oder seinen Zweck nicht erreicht und durch 'seinen Sturz seine Verkehrtheit von ihrer belachenswerthen Seite zeigt.

Das Feld des Komischen aber ist ein sehr weites. Zunächst giebt es gewisse Grundformen, deren wir nach dem Vorgange von Vischer?) drei annehmen können. Diese sind: a) das objectiv Komische oder die Posse (= das Possenhafte)); b) das subjectiv Komische oder der Witz; c) das absolut Komische oder der Humor. Es ist jedoch hinzuzufügen, dass die Kreise in der Wirklichkeit oft in einander laufen, so dass eine scharfe Begrenzung für den einzelnen Fall zuweilen grosse Schwierigkeit bietet, wozu auch noch kommt, dass vielfach die eine Form die andere zu Hülfe nimmt. Die Posse gehört,,dem frohen Instinktleben der Unmittelbarkeit" an, wobei die Rede leicht überflüssig werden kann. Die ganze Form ist vorzugsweise als naiv zu bezeichnen. Der Witz dagegen ist Sache der Intelligenz und des sittlichen Willens, und er bedient sich wesentlich der Sprache. Sein Verfahren besteht darin, dass er erfindet, indem er,,eine Vorstellung aus

einem ganz entlegenen Kreise herbeiholt und sie mit der des vorliegenden Gegenstandes plötzlich in einen Gedankenzusammenhang bringt", oft mit satirischem Stich, der aber nicht zu tief gehen darf; denn wenn die Absicht zu verletzen vorliegt, so geht gerade dasjenige Moment verloren, das ihm seine Stelle im Komischen anweist, das Wohlwollen, wovon schon die Rede war. Der Witz nun strahlt nach verschiedenen Seiten aus, indem er entweder als abstracter (Klangwitz oder akustisches Wortspiel, Sinnwortspiel) oder bildlicher, der auch zur Erzählung werden kann, wobei die Pointe fehlen darf, oder als Ironie erscheint. Der Witz ist punktuell, indem er nur eine Erscheinung trifft. Anders der Humor. ,,Seine Komik ist die Frucht eines selbst erlebten Kampfes" und er unterscheidet sich vom Witze vornehmlich dadurch, dass er,,das Bewusstsein der Allgemeinheit hat", mit andern Worten: ,,der Witz macht immer nur einzelne Witze der Humor ist eine Weltanschauung, ein Geist 9)". In liebenswürdiger Weise verlacht er die schlimme Welt, und sich selbst. Um aber zum Ausdruck seines komischen Bewusstseins zu kommen, eignet er sich die Formen der Posse und des Witzes an, und zwar dienen ihm als Hauptmittel die höchsten Formen des Witzes, der bildliche und die Ironie. Seine erste Stufe ist der naive Humor oder die Laune. Hier findet sich nur ein Anklang an den tiefen Schmerz der ausgeprägteren Form des Humors, die sogleich genannt werden wird. Der Widerspruch des Innern mit der Aussenwelt bleibt,,in dem Naturelement der ungebrochenen Lustigkeit stehen." Die höhere Stufe ist der gebrochene Humor, der zwar auf dem Vege der Komik von dem Drucke, den die Wirklichkeit ausübt, sich zu befreien trachtet, aber seinen Zweck nicht erreicht. Der freie Humor hingegen stellt sich über seinen Schmerz, den ihm die Gegenwart bereitete, die er nun belächelt, da ihm die Ueberzeugung innewohnt, dass eine Zeit, deren Anfänge er bereits sieht, einst kommen werde, die seinem Ideale entspricht 10).

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Nach dieser kurzen Auseinandersetzung, in welcher Stellung zu der Frage genommen ist, worin im wesentlichen das Komische bestehe, werfen wir einen flüchtigen Blick auf die Satire, die in lyrischer, epischer und dramatischer Form, als Brief, Roman u. s. w. erscheint und als besonderer Literaturzweig zuerst bei den Römern auftritt 11). Die Satire, wie sie im Laufe der Zeit sich herausgebildet und namentlich durch Juvenal sich fixiert hat, steht im Dienste der Wahrheit und hat unmittelbare Beziehung zum Leben in seinen verschiedensten Gestaltungen, einschliesslich des literarischen. Sie sucht dadurch, dass sie das Verkehrte aufdeckt, den Sinn für das Rechte zu wecken und zu schärfen. Daher ist auch nöthig, dass ihr eine Idee als Massstab der Dinge zu Grunde liege, nach der sie die Wirklichkeit misst. Die Art aber, wie sie dies thut, ist eine doppelte, je nachdem sie ihren Zweck durch Scherz oder Ernst zu erreichen sucht. Man unterscheidet daher eine lachende (harmlose, negative, komische, indirecte) und eine strafende (scharfe, positive, pathetische, directe) Satire, wovon die erstere dasjenige, was im Widerspruche zur Idee steht, mehr als Thorheit, die letztere als Laster ansieht 12).

In den meisten Fällen aber wird jede dieser beiden Formen die andere leihen. Besonders muss die strafende Satire dies thun, da sie sonst leicht durch Bitterkeit allzu verstimmend wirkt, während hinwiederum die lachende Satire oft in den Ton der strafenden verfällt. Der Satire überhaupt aber ist nach beiden Seiten hin eine besondere Neigung zur Carricatur eigen, zur Ueberladung, um so ihren Gegenstand in seiner Nichtigkeit möglichst blos zu stellen.

So finden wir auch in den Satiren des Juvenal das komische Element vertreten, und wenn nun im Folgenden von ihm, wie es sich hier zeigt, die Rede sein soll, so geschieht dies einestheils, weil dieser Punkt noch nicht genug hervorgehoben zu sein scheint, anderntheils, weil er oft nicht erkannt oder auch verkannt wird 13). Auf die Person des Juvenal selbst und seine Satiren genauer einzugehen, würde zu weit führen 14). Nur wenige Worte mögen genügen. Welch hohes Interesse die Satiren des Juvenal in stofflicher Hinsicht bieten, worin er und Tacitus im Vordergrunde als Gewährsmänner für die Geschichte ihrer Zeit stehen, ist allgemein anerkannt 15). In Bezug auf Kritik sind freilich viele Bedenken vorhanden, aber bei weitem nicht in dem Grade, wie manche glauben, die weniger den Schriftsteller als solchen, als vielmehr das Bild, das sie sich von ihm machen, ins Auge fassen 16).

D. Junius Juvenalis lebte etwa 47-130 n. Chr., widmete sich vorerst der Rhetorik, war vielleicht auch Offizier 17), und soll noch in hohem Greisenalter verbannt worden sein, wie die vitae sagen 15), wegen eines Witzes, den er auf einen am Hofe beliebten Schauspieler, Namens Paris, gemacht habe19). Seine Satiren hat er erst nach dem Tode Domitians, unter Trajan, begonnen oder wenigstens veröffentlicht, obwohl sie vorzugsweise die Zeit Neros und Domitians behandeln, jedoch so, dass zumeist Gegenwart und Vergangenheit in einander überfliessen und demnach eine Sittenschilderung seiner Zeit überhaupt gegeben wird 20). Die schlimmen Zeiten, die er mit erlebt, wo Tugend ,,ein leerer Schall" war, hatten sein Gemüth mit tiefer Bitterkeit erfüllt und den ätzenden Stoff, den er lange schweigend

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in sich getragen, legte er nun in seinen Satiren mit aller Rücksichtslosigkeit nieder, wobei durch die rhetorische Behandlungsweise der Ausdruck noch bedeutend geschärft wird. Die Farben, durch scharfe Contraste gehoben, werden meist allzu stark aufgetragen; auch lässt sich eine gewisse Breitspurigkeit nicht verkennen, die vor der Ausmalung des Widerlichsten nicht zurückschreckt und durch Häufung von Beispielen sich sehr oft geltend macht 21). Auf Rom und römische Verhältnisse bezieht sich, ausgenommen Satire XV., alles, was er sagt. Von dem verdorbenen Rom aber wendet sich sein Blick oft rückwärts nach der Vergangenheit die Zeit bis zu den punischen Kriegen und während derselben ist ihm mustergültig und wenn er auch die Ursprünglichkeit jener Zeiten nicht in ihrer vollen Wirklichkeit zurückwünscht, so sind sie doch insofern für ihn Ideal, als in ihnen Einfachheit, Sittenreinheit, Vaterlandsliebe und Freiheit blühten 22).

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Und doch hat Juvenal aus dem Schiffbruche noch ein gut Theil Heiterkeit sich gerettet. Es fragt sich nun, welche komischen Mittel ihm zu Gebote stehen und wie er sie anwendet. Zunächst ist zu antworten, dass er einen guten Humor besitzt, jedoch durchaus nicht den sogenannten freien Humor. Denn er hat nicht die Kraft, sich über die gemeine Wirklichkeit zu erheben und sie in objectiver Weise zu beleuchten, wie es Horaz vorwiegend thut, und ebensowenig lächelt ihm eine bessere Zukunft: der Stoff lässt ihn nicht los, er zieht ihn, wenn er sich ja einmal emporschwingt, immer wieder zu sich zurück, woher es auch kommt, dass bei ihm,,das Hässliche die furchtbare Erdenschwere behält 23)", was aber durchaus nicht so zu verstehen ist, als ob er stets mit grimmigem Gesicht und mit dem Schwerte in der Hand dastände. Dieser Humor nun zeigt sich theils als blitzartiges Aufleuchten, theils bricht er siegreich durch die schwarzen Wolken hindurch und behauptet längere Zeit hindurch seinen Platz. Laune, Witz (bildlicher und Ironie) 24), Posse alle diese Formen des Komischen finden sich bei ihm. Besonders liebt er es, mitten in die Rede einen Scherz, gleichsam als Parenthese, hinzuwerfen Schlaglichter, wodurch plötzlich etwas in komische Beleuchtung tritt. In mehreren Satiren stehen sich sogar Ernst und Scherz so schroff einander gegenüber, dass ein fortwährender Wellenschlag stattfindet, ja in einigen wiegt das komische Element so vor, dass die Bitterkeit ganz in den Hintergrund gedrängt wird 25).

Beispiele aus der Masse des Stoffes herausgehoben, mit möglichster Uebergehung dessen, was nicht zum Thema gehört, mögen die Wahrheit des Gesagten bezeugen 26).

Gleich der Anfang der ersten Satire, in welcher Juvenal sein Programm entwickelt, gehört hierher.,,Soll ich immer nur Hörer sein?" sagt er. ,,Soll ich, so oft gepeinigt von der Theseis des heiseren Cordus, nie etwas erwidern (reponam, zurückzahlen)? Soll mir ungestraft jener seine Dramen (togatas), dieser seine Elegien vorlesen 27)? Soll mir ungestraft der masslose Telephus und der endlose Orestes meine Zeit stehlen? Keiner kennt sein eigenes Haus so gut als ich den Hain des Mars und die des Aeolus Felsen benachbarte Grotte Vulcans. Was die Winde vorhaben, was für Schatten Aeacus martere, woher ein anderer 28) das goldene Fellchen (Vliess) bringe, was für gewaltige Eschen Monichus (Centaur; Ov. Met. XII., 499) schleudere, das schreien (clamant, stark für resonant) ohne Unterlass die Platanen, das zersprungene Marmorgewölbe und die durch die unablässigen Vorlesungen geborstenen Säulen des Fronto 29). So treiben es die grössten und kleinsten Dichter. Auch mir hat die Ruthe gedroht (manum ferulae subducimus) 30), auch ich habe dem Sulla den Rath gegeben, recht fest (altum) zu schlafen31); es ist thörichte Milde, da man überall so vielen Dichtern entgegenrennt, das Papier, das doch so wie so umkommt, zu schonen." (1-15.)

Also rächen will sich Juvenal für die Unbill, die er von den Dichtern erfährt; er kann es, weil auch er seinen Schulcursus durchgemacht hat; Gnade für das Papier sei heut zu Tage ganz unangebracht.

Heinrich nennt dies den stärksten Satirenton. Sollte man nicht vielmehr von komischer Verzweiflung sprechen? Allerdings ist der muthwilligen Laune in zweiter Linie Schärfe beigemischt, insofern als die Recitationen angegriffen, ja sogar Dichternamen und Stücke, deren Verfasser man leicht errather konnte, erwähnt werden.

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eine Erbschaft (mercedem sanguinis. 42) erlangt, der möge erbleichen, wie einer, wird noch witzig hinzugefügt

wie

Wir gehen weiter. Wer auf schimpfliche Weise von einem alten reichen Frauenzimmer (vetulae beatae. 39) der mit nackten Füssen auf eine Schlange getreten ist, oder ein Redner, der am Altar zu Lugdunum sprechen soll" (42-44) 32). Nicht ohne Bitterkeit, aber witzig in der Form ist Folgendes: Da hat ein nachsichtiger Ehemann, um zu einer Erbschaft zu kommen, gelernt (doctus), die Zimmerdecke anzusehen, er hat auch gelernt (wiederholt: doctus), beim Becher mit

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