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feit hat die Einbildungskraft das Bild ihrer Gottheil zusammengesetzt. Wer also Religion und Sittenlehre vervollkommnen wollte, mußte erst diese Spuren der Rohigkeit auslöschen, d. i. er mußte sie aufklären.

Der lehte Characterzug; den uns die Vergleis chung der mathematischen Wissenschaften mit den übris gen Kenntnissen des Menschen sichtbar macht, liegt in der Beglaubigung ihrer Wahrheiten. In der Mar thematik ist diese Beglaubigung keine andere als die vollständigste, strengste Demonstration, die von der Wissenschaft, der man sie nur noch immer unvollkom men hat nachahmen können, den Namen der mathe matischen erhalten hat. Die Lehren der reinen Mas thematik haben entweder mathematische, Eewißheit, oder sie haben gar keine, wir sind entweder durch Des monstration davon überzeugt, oder gar nicht. Autho ritåt des Lehrers, überredende Gründe, die die Eins bildungskraft, die Neigungen und die Leidenschaften für eine Lehre gewinnen, können hier nicht angebracht werden. Sie können es aber in der Religion, in der Sittenlehre, in der Naturlehre und in allen unter ihnen enthaltenen Wissenschaften. Dieser Theil der eigenthümlichen Natur von beiden Hauptarten der menschlichen Kenntnisse ist zum Vortheil der mathes matischen und zum Nachtheil der übrigen entscheidend. Durch ihn hält die erstere alle diejenigen sogleich von ihren

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ihren Gränzen ab, die keiner Ueberzeugung durch Demonstration fähig sind; durch ihn versagt sie allen Lehren die Aufnahme, die sich nicht mit dem Siegel des strengsten Vernunftbeweises rechtfertigen; indeß die lekteren jedem eine Stimme vergönnen, der sich des Rechtes, seine Meinung zu sagen, anmaaßen will, und Lehren aufnehmen, die nichts als die Mehrheit der Stimmen, das Ansehen des Lehrers und oft die Rohigs keit und Blödsinnigkeit der Gläubigen begünstigen kann.

Ein wesentliches Stück der Aufklärung ist alss auch dieses, daß sie den Einfluß des Ansehens auf die Ueberzeugung vermindert, und den Gebrauch des eis genen Urtheils an die Stelle der Unterwerfung unter ein fremdes noch so ehrwürdiges, so wie die Uebers zeugung aus innern Gründen der Wahrheit an die Stelle des blinden Glaubens setzt. So gebrauchent die Franzosen das Wort Philosophie, wenn sie es der Religion entgegenseßen. Da sie unter Religion nur die positive verstehen: so ist ihnen Philosophie der Inbegriff aller Kenntnisse, die wir der Vernunft und der Erfahrung zu danken haben. Bey uns wird der Gebrauch der Vernunft in der Religion nicht ausge: schlossen, wir haben eine Religionserkenntniß, die ein Theil der Philosophie ist; bey uns kann daher diese Opposition der Philosophie und der Religion nichts anders als Mißverstand veranlassen.

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Wenn wir diese Züge zur genauesten Schilderung Der wahren Aufklärung zusammenfassen: so wird fie in Verminderung der Irrthümer und in Vermehs rung der deutlichsten und richtigsten Kenntnisse aus den angemessensten Wahrheitsgründen bestehen. Der vollkommen aufgeklärte Mensch würde alfo derjenige feyn, der sich von allen Irrthümern losgemacht und seinen Verstand mit der deutlichsten und richtigsten Erkenntniß der Wahrheit durch Vernunft, Erfahs rung und den vernunftmåßigsten Glauben bereichert - hätte.

Allein dieser Vollkommenaufgeklärte ist eben so wenig, als der Vollkommentugendhafte, irgendwo unter den Menschen zu finden. Die menschliche Volls kommenheit bildet sich nach und nach; das gilt sowohl für den Verstand als für das Herz; sie fångt mit schwachen Schritten an, und geht langsam, unter vielem Schwanken, Fehltritten und Zurückweichen der höchsten Stufe entgegen, ohne sie zu erreichen. Es muß also nothwendig in der menschlichen Aufklärung so unendlich mannigfaltige Stufen geben, als in der menschlichen Tugend. In beiden aber muß es einen gewissen Anfang geben, worin sich ihre Gestalt zu bila den beginnt. In der Tugend ist dieses der feste Bor: fak, nur das zu thun, was man für recht erkennt, und zwar weil man es für recht erkennt; in der Auftlås

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rung, nichts für wahr zu halten, als wovon uns, nach sorgfältiger Prüfung, Vernunft, Erfahrung oder vernünftiger Glaube überzeugt. Das, und nichts anders, wird also das Wesen der Aufklärung ausmas chen; wer diese Gewohnheit besißt, wird auf den Nas men eines aufgeklärten Mannes mit Recht Anspruch machen können; denn er ist auf dem Wege, auf wels chem er allein der Wahrheit immer nåber kommen und sie immer mehr ohne die Täuschungen des Irrthums wird erblicken können.

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Es ist wichtig, daß wir diesen Gesichtspunct, worin wir das Wesen der Aufklärung betrachten, fest. vor den Augen behalten, wir werden sonst schwerlich die wahre Aufklärung von der falschen zu unterscheis den, und die mannigfaltigen Anmaaßungen einges bildeter Aufklärer und Aufgeklärter mit Sicherheit zy beurtheilen im Stande seyn. Es ist daher der Mühe werth, daß wir uns von der Richtigkeit des angeges benen Begriffs noch durch einige Fälle, worin das Bort gebraucht wird, zu überzeugen suchen.

Wir nennen den einen aufgeklärten Landwirth, der in der Verwaltung seiner Dekonomie nicht einer gedankenlosen Routine folgt, und alle Verbesserungen derselben aus einer blinden Anhänglichkeit an ein uns geprüftes Herkommen verwirft. Und ein solcher wird

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er feyn, er mag übrigens das Alte beybehalten oder davon abgehen, wofern er nur beides nach sorgfältiger Prüfung thut, und weder etwas eingeführtes beybe: hålt, noch etwas neugewagtes annimmt, von dessen vorzüglichem Nußen ihn nicht Nachdenken und Erfah. rung belehrt hat. Eben so nennen wir einen Boerhave einen aufgeklärten Arzt, nicht wegen der neuen Heilmit tel, die er zuerst gebraucht, nicht wegen seiner Vers werfung alter und Einführung neuer Curmethoden, also nicht darum, daß er das Alte verworfen und das Neue aufgebracht; sondern darum, daß er die Theorie und Praxis der Arzneykunst auf Erfahrung und un leugbare Grundsäße der Vernunft gebaut, und ihren Umfang durch neue Beobachtungen und Bestätigung der alten mit seinen eigenen erweitert.

Diesem also zufolge, daß das eigentliche Wesen der wahren Aufklärung bloß in dem durchgängigen sorg: fältigsten Gebrauche der Vernunft, der Erfahrung und eines vernunftmäßigen Glaubens besteht, fällt es schon in die Augen, daß es eine eitle Anmaaßung sey, sich durch bloßen Widerspruch gegen allgemein angenoms mene Meinungen das Verdienst der Aufklärung zus zueignen. Nichts ist gewöhnlicher, als daß man die Verwerfung oder Beybehaltung gewisser Lehren zur Losung macht, wonach man die auserwählten Aufge: Flårten von der Heerde der Unaufgeklärten sondert;

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