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Channe beachtete aber gar nicht die Rede ihres Mannes; fie sah nur den vor ihr schweigend stehenden Emanuel an.

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Gut habt Ihr gethan, Gast," rief sie leidenschaftlich, mit leuchtenden Blicken, „und Gott hat Euch den Gedanken eingegeben, daß Ihr wieder zurückgekommen seid. Was sag' ich aber Schabbes die ganze Woche könnt Ihr hier bleiben bei uns, und so lang Ihr nur wollt."

„Wenn Ihr noch Weib und Kind habt, Gast," sagte lachend der Dorfgeher, „so thut sie nur gleich verschreiben. Sie wird Euch auch die verköstigen.“

"In die Schlafftub', Mutter,“ schrie nun Benjamin, „darfst du ihn nicht gehen lassen,“ und ergriff dabei Emanuels Hand, „er wird uns sonst wieder weglaufen.“

„Soll ich leben, das Kind hat Recht! Ihr dürft mir gar nicht hinüber," sagte die Mutter sogleich.

Diesmal entlauf ich dir nicht, geliebter Benjamin," sprach Emanuel, und beugte sich im Uebermaß seiner Gefühle zu dem Knaben nieder, den er minutenlang umfaßt hielt.

In einem Zustande, wie wir ihn unmöglich schildern können, verbrachte Emanuel die wenigen Stunden, die noch zum wirklichen Sabbat fehlten. Schon duftete und wehte der „holde Bräutigam," wie ihn das schöne Lied nennt, durch die ganze Wohnung. Während der Vater sich aus dem Wochen- und Straßenstaub, der auf ihm haftete, loszumachen bestrebte, indem er sich so feierlich als möglich auf den Empfang des Sabbats rüstete, lauschte Emanuel auf die herzlich innigen Gespräche des Kindes. Draußen in der Küche mühte sich indessen die Mutter am materiellen Sabbat ab, aber man sah es an ihren öfteren Besuchen in der Stube, an den flüsternden Lippen, an den leuchtenden Augen, daß sie sich ihres Gastes vergewissern, daß sie ihn nicht wieder verlieren wollte.

Abends, als Emanuel mit Vater und Brüderchen aus der Synagoge in die hellerleuchtete Sabbatstube trat, als darauf wieder von den Beiden das „Salem Alechem," der Friedensgruß, ertönte, begriff er erst recht den schönen Sinn dieses holden Liedes.

Ja Friede, Friede sei mit Euch! Nach einer solchen Woche, nach solchen Plagen und bei einer solchen Hantierung seines Vaters, sprach es in ihm, mußte gerade ein solches Lied gedichtet werden. - Friede, Friede mit dir!"

Rösele saß zwar

diesmal wieder in dem bekannten Winkel, und schien ihren trüben Hochzeitsgedanken nachzuhängen, aber fie weinte nicht, und schon das dünkte unserem Emanuel ein gutes Zeichen. Auch ihr neigte sich der Gruß hin „Friede, Friede sei mit dir!"

Bei Tische kam Emanuel wieder neben sein Brüderchen Benjamin zu fißen, der im Anschauen des wieder gewonnenen. Gastes buchstäblich Essen und Trinken vergaß. Emanuel selbst rührte von den Speisen, die ihm seine Mutter in reicher Fülle auf den Teller schob, kaum an, und hatte deshalb von Schimme manche spöttische Bemerkung zu leiden.

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Wo ist denn Euer Hunger hingekommen," sagte er, „warum seid Ihr so gelaufen? Seid kein Narr und eßt und vor der schönen Bäuerin habt Ihr Euch nicht zu geniren."

Nachdem abgespeist und gebetet war, stimmten Vater und Sohn die Nachtgesänge an; diesmal aber begann des Dorfgehers Stimme noch früher lallend zu werden, als vor acht Tagen. Die Woche und das „Nichtsverdienen" mußten es wohl bewirkt haben. Auch Rösele hatte sich in ihre Kammer entfernt, nur Benjamin's Glöckchen läutete in den Sabbat des Ghetto's hinaus. Mutter und Sohn saßen sich gegenüber. Zwei Engel stritten um diese Minute.

Da begann Channe: Noch einmal sag' ich's Euch, mein lieber Gast, Ihr habt ganz recht gethan, daß Ihr wieder gekommen seid. Mein Herz ist die ganze Woche über voll Traurigkeit gewesen, ich hab' nicht gewußt, warum? und mein Leben hätt' ich drumgegeben, wäret Ihr nur auf einen Augenblick wieder erschienen. Ordentlich unglücklich hab' ich mich gefühlt, wenn mir eingefallen ist: jezt ist der Fremde fort, all Tag deines Lebens kriegst du ihn nicht mehr zu Geficht! Und da kann ich Euch, mein lieber Gast, nicht beschreiben, wie mir da immer war. Auf die höchsten Berge wär' ich, wie ich glaube, gestiegen, um Euch nachzusehen, durch die tiefsten Wasser wäre ich geschwommen, hätt' ich nur die Farbe Eueres Kleides erblicken können. Eine Närrin bin ich wohl, eine große, aber mit mir muß was vorgegangen sein. Recht habt Ihr, wenn Ihr mich auslacht."

Tiefe Blässe bedeckte

Wahrhaftig, Emanuel lachte nicht. sein Antlig. Da schlug Benjamin um diesen Augenblick sein Gebetbuch zu, und sagte: „ich will nicht mehr singen, ich laß mir's auf morgen. Und jeßt, weil der Gast da ist, kannst du mir das Geschichtchen erzählen, was du mir für das Blatt Talmud versprochen hast, jezt wär' die beste Zeit."

Emanuel flog ein herrlicher Gedanke durch den Kopf. „Benjamin,“ rief er beinahe athemlos: „ich will dir etwas Anderes erzählen, worauf ich die ganze Woche nachgesonnen, es wird dir gewiß sehr gut gefallen.“

Seltsam blickte ihn darauf der Knabe an, er begriff nicht die fieberhafte Hast Emanuel's; er sah zu seiner Mutter auf, und da meinte er: „Wenn du ein andermal Zeit hättest — Mutter so möchte ich wer weiß, wann der Gast wiederkommt." „Erzählt, erzählt," sagte die Mutter. Mein Geschichtchen wird ihm nicht entgehen."

"

Stelle dir vor, Benjamin," begann Emanuel mit unsicherer Stimme. Du hast vor Zeiten eine Muhme gehabt, Namens Mirjam, die hatte ein einziges Kind, das hieß Ruben. Von jeher ist dieses Kind ein Wunder von Kopf und Weisheit gewesen, es hat mit dem größten Rabbi über die heiligsten Sachen sprechen gekonnt, daß den Leuten, die ihm zugehört, die Haare zu Berg gestanden sind. Weißt du aber, worin die größte Freude jenes Knaben bestanden ist? Wenn Abends ist geworden und er gewußt hat, daß der Schuldiener jezt beim Rabbi ist, hat er eine Latte von dem hölzernen Häuschen ausgehoben, in das man, wie du weißt, die zerrissenen Bücher wirft, die, weil der Name Gottes darauf steht, nicht untergehen und verschändet werden dürfen.

„Da hat er viele, viele solcher Bücher mit nach Hause genommen und ganze Nächte damit zugebracht, von allen den Sinn herauszubringen, denn an dem Einen hat der Anfang gefehlt, bei dem Anderen das Ende; oft waren mehrere Blätter auf einmal herausgerissen. Er aber, durch seinen Kopf und Verstand hat immer gewußt, was auf dem Fehlenden gestanden ist. Hör' zu, was geschah. Eines Abends, wie er wieder in dem Häuschen war, kommt ihm vor, als würde von einer weichen Hand ihm ein Buch in die seine geschoben; er will es fallen lassen, aber es bleibt ihm wie angeschmiedet, er muß es behalten. Da trägt er das Buch nach Hause, und wie er es bei Nacht nachschlägt, sieht er, daß es nicht in heiliger Sprache, sondern in einer fremden, ihm unbekannten ist. Heftige Begierde erwacht in ihm, das Buch zu verstehen, er verachtet den Bann des Rabbi, der auf solchen Büchern liegt.

Er versteht es endlich, wieder fehlt das Ende wie bei den anderen. Diesmal kann er aber den Sinn nicht herausfinden, wie er es immer anfängt. Das Buch in der Hand ist er eines Tages verschwunden, man weiß nicht wohin? Ein schönes

Weib war einmal in seiner Stube erschienen, das hatte ihn mitgenommen und versprochen, von jenem Euche das Ende ihm zu schaffen. Kurz darauf hat ihn Einer in einer fernen Stadt als „Bekehrten“ gesehen, reitend an der Seite eines schönen Weibes, angethan mit prächtigen Kleidern. Das hat man nun der Muhme Mirjam erzählt und sie ist darüber gestorben. In jener Nacht, wo sich ihre Seele so plöglich aus ihrem Leibe geriffen hat, da träumt es dem Sohn an der Seite jenes schönen Weibes, seine Mutter stehe vor ihm und spricht also: „Meinst du, du hättest das Ende jenes Buches nicht gefunden, wärst du bei mir, deiner Mutter, geblieben? Steh' auf und thu' Buße!" So ist sie dreimal gekommen.

,,In Amsterdam ist einmal auf der Schwelle der Synagoge ein Bal Teschuba (Büßender) gelegen, über dessen Leib stiegen die Leute, es war

„Elije, mein Elije!" tönte es darauf von den Lippen der Mutter so laut schrillend, daß es im Hause wiederhallte. Bleich, fast ohnmächtig war sie zu seinen Füßen gesunken; sie hatte das Märchen wohl erkannt. Der Vater fuhr schlaftrunken in die Höhe, auf der Schwelle erschien Rösele. „Elije, mein Elije!" tönte es noch lange in die Nacht hinaus. Und es war Alles, Alles gut.

*

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(Am Sonntag geschrieben.)

Hart an die Wohnung des Glücks baut der Unglückselige seine Hütte an. Er wandelt mitten unter den Glücklichen und sein Lächeln hat oft den Anschein, als wäre es von ihnen erborgt. Ich werde lächeln, ich werde mich freuen - kann ich aber dein vergessen, Clara?

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